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Vom Bleischuh zum Sportschuh - von Hansjörg Lienert
Vom Bleischuh zum Sportschuh - Warum geht es mit der Barrierefreiheit von Fachanwendungen nur langsam voran – und was können wir tun?
Raus aus der Blindenhilfsmittelfalle
PDF-Ansicht
Die größte Hürde bei der Beschäftigung blinder und sehbehinderter Menschen liegt nach wie vor in der fehlenden Barrierefreiheit vieler IT-Fachanwendungen. Was zunächst wie ein technisches Detail klingt, entscheidet in der Praxis über Chancen auf dem Arbeitsmarkt – und kostet die öffentliche Hand jedes Jahr erhebliche Summen.
Das ist die Mission Bleischuh.
Was will ich mit diesem Fachbeitrag erreichen?
Ich analysiere und beschreibe, wie die berufliche Teilhabe in Deutschland organisiert ist.
Neben Lichtblicken beschreibe ich eine technische Fehlentwicklung, welche die berufliche Teilhabe erschwert und zudem negative ökonomische Auswirkungen hat. Ein dysfunktionales Anreizsystem sorgt dafür, dass Hilfsmittelfirmen kaum daran interessiert sind, echte Barrierefreiheit herzustellen.
Gleiches gilt für viele Ausbildungs- und Rehaeinrichtungen, von denen kaum ein Impuls in Richtung Barrierefreiheit von IT-Systemen ausgeht.
Der Bock ist hier als Gärtner unterwegs, und es geht ihm gut. Man kann derzeit mit provisorischen Lösungen teilweise mehr Geld verdienen als mit der Herstellung echter Barrierefreiheit.
Ich benenne Dinge, die wir tun können, um die Situation für alle beteiligten Player zu verbessern. Und ich meine wirklich alle Player.
Wen will ich erreichen?
Dieser Fachbeitrag richtet sich an:
- selbst Betroffene Menschen, die von Geburt an blind sind oder nach einer Erblindung über das betriebliche Eingliederungsmanagement wieder zurück in den Beruf wollen
- an Kostenträger wie DRV, Integrationsämter, Arbeitsagenturen, Berufsgenossenschaften und Sozialversicherungen
- an Bildungs- und Rehaeinrichtungen
- an Integrationsfachdienste, an die Reha Abteilungen bei der Arbeitsagentur und den Jobcentern
- An Menschen, die in der Softwareindustrie tätig sind
- an Menschen, die in Kommunen, Ministerien und Firmen für den Einkauf von Fachanwendungen verantwortlich sind
- an Menschen, die in den Digital- und Wirtschaftsministerien arbeiten
- an Menschen, die bei Hilfsmittelfirmen arbeiten
- an Menschen aus der Schwerbehindertenvertretung
- an die Schwerbehindertenbeauftragten
- an Menschen in Blindenvereinen, die sich mit der beruflichen Teilhabe beschäftigen
Ich behandle folgende Themen:
Woran erkennt man barrierefreie Software?
- Wer hat Interesse an Barrierefreiheit – und wer nicht?
- Mit welchen technischen Hürden kämpfen blinde und sehbehinderte Menschen im Berufsalltag?
- Warum werden teure Provisorien gefördert, statt die Probleme zu beseitigen?
- Welche Folgen hat fehlende Barrierefreiheit für berufliche Chancen, Selbstbild und soziale Teilhabe?
- Wie hoch sind die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten?
Was können wir tun, um die Situation zu verbessern?
Dieser Beitrag ist launig, ausführlich und allgemeinverständlich geschrieben. Auf dem Weg durch die Strukturen des Hilfsmittelmarktes werden uns drei Monster begegnen. Wir werden zudem auch tierische Begegnungen haben. Den Bock, der als Gärtner tätig ist, haben wir ja schon getroffen.
Dies ist meine Perspektive
Diesen Beitrag schreibe ich als selbst Betroffener. Vor langer Zeit habe ich mal gut gesehen und alles verschlungen, was mir vor die Nase kam und für mich lesenswert war. Mittlerweile bin ich fast blind. Ich verschlinge nach wie vor alles, was mich interessiert. Das Futter hat sich allerdings geändert. Außer Büchern, Artikeln und Fachbeiträgen, verschlinge ich Blogs, Podcasts, Hörbücher und höre YouTube-Beiträge vorzugsweise auf einem Audioplayer, wenn ich mit den Hunden spazieren gehe. Somit haben auch die Hunde was davon.
Ich verwende überwiegend einen Windows-PC und kann damit gut arbeiten. Nein, ich kann damit sogar sehr gut arbeiten. Das Pinguin-System Linux würde ich aus technischer Sicht gerne vorziehen, in der Arbeitswelt dominiert aber Windows.
Ich schreibe diesen Artikel auch aus meiner beruflichen Perspektive. Ich arbeite bei einer Hilfsmittelfirma, die Arbeitsplatzausstattungen für sehbehinderte und für blinde Menschen herstellt und liefert. Unsere Kundinnen und Kunden stehen mitten im Berufsleben oder kehren nach einer Erblindung dorthin zurück.
"Was, können blinde Menschen am Computer arbeiten? Die sehen doch nix?"
Diese Frage hören wir immer mal wieder, und wir hören sie sehr gerne.
Das Interesse für die Arbeitstechniken blinder Menschen ist sozusagen die Eintrittskarte in das Thema Barrierefreiheit.
Von mir wollen Sie sich in einem Auto nicht einmal einen Meter weit fahren lassen, denn ich sehe so viel wie ein Maulwurf bzw. wie Sie in einem stockdunklen Raum bei 100 % Nebel. Ich habe praktisch keinen Durchblick. Am PC aber sehr wohl!
Ich fahre mit meinen Ohren langsam und aufmerksam nahe am Bildschirm entlang. Als Blinder ist mein Gehör doch so gut, dass ich Schrift regelrecht hören kann.
Spaß, Spaß! Nein, nein, natürlich nicht! Ich bediene den Computer aber überwiegend über die Ohren. Er liest mir vor, was auf dem Bildschirm (Screen) steht. Die Programme, die sowas machen, sind die sog. Screenreader. Ich verwende den englischen Namen, weil er üblich ist und mir "Bildschirmausleseprogramm" zu lang ist. Was der PC machen soll, steuere ich über die Tastatur. Ich tue das blind. Wenn man schnell tippen können möchte, sollte man das blind tun, denn das Hinschauen auf die Tastatur bremst einen aus. Beim Autofahren schaut man auch nicht auf das Gaspedal.
Der Screenreader liest mir alles vor, was ich per Tastatur erreichen kann. Die Maus kann ich, genau wie alle blinden Menschen nicht verwenden. Und damit bin ich beim Kern der Sache:
Bedienbare Steuerelemente
Wenn eine Fachanwendung bzw. eine beliebige Software nicht so programmiert ist, dass ich in einem Eingabeformular mit der Tab-Taste von Feld zu Feld springen kann, ist sie nicht barrierefrei. Die Tab-Taste muss, wenn richtig programmiert wurde, den Cursor bzw. den Fokus von Feld zu Feld bewegen. Damit folgt der Fokus dem sog. Tab-Index, der beim Programmieren festgelegt wird. Der Tab-index gibt dem Floh, der von Feld zu Feld springt, sozusagen vor, in welcher Reihenfolge er springen soll.
Mein Screenreader kann den Fokus standardmäßig und normalerweise erkennen. Das bedeutet, wenn der Fokus im Feld "Vorname" steht, kann mir mein Screenreader auch das Wort "Vorname" ansagen. Der Screenreader sagt mir auch an, ob der Fokus auf einem Eingabefeld, auf einem Schalter oder auf einem anderen Steuerelement steht.
Ist der Fokus im Eingabefeld "Vorname" kann ich entsprechend lostippen, um einen Vornamen einzugeben. Ich bin dabei teilweise schneller als Sehende, weil die immer wieder zur Maus greifen, um das nächste Feld anzuklicken. Derartige und unnötige Unterbrechungen kenne ich nicht.
Wurde aber nicht richtig, also nicht barrierefrei programmiert, dann sagt mir mein Screenreader evtl. nur "Eingabefeld" an. ich weiß damit nicht, wo ich mich befinde und bin damit nicht arbeitsfähig. Das ist so, als würde man jemanden mit verbundenen Augen in irgendeiner Stadt aussetzen und auf die Frage "Wo bin ich?"- „Du bist in einer Straße“ antworten.
Meinen Screenreader kann ich schneckenlangsam oder rattenschnell einstellen. Texte höre ich teilweise schneller als meine sehenden Kolleginnen und Kollegen.
Wenn der Job an der Software scheitert
Einen Arbeitsplatz für einen blinden Menschen in einer Behörde oder in einer Firma zu finden ist nicht ganz einfach. Davon können Berufsförderungswerke, Integrationsfachdienste und die Arbeitsagenturen Klagelieder im Duett singen.
- Klappt das mit dem Weg zur Arbeit?
Klappt die Orientierung auf dem Gelände?
- Wir haben teilweise immer noch Papierdokumente. Was ist damit?
- Wir haben eine neue E-Akte, bei der nicht einmal die Sehenden durchblicken. Kann da ein Blinder überhaupt mitarbeiten?
- Die Personalleute sind vorsichtig, weil sowas für sie neu ist. Das Thema E-Akte bzw. Fachanwendung ist dabei der kritische Punkt.
Selbst wenn es zunächst nur um einen Praktikumsplatz für einen blinden Menschen geht, muss geklärt werden, ob die Arbeitsumgebung überhaupt mit Screenreadern bedient werden kann. Lesen Sie den letzten Satz am besten noch einmal.
IT-Fachkräfte von Hilfsmittelfirmen untersuchen dafür die Software mit speziellen Tools. Sie kommen dann evtl. zum Ergebnis, dass die Software durch blinde grundsätzlich nicht bedient werden kann, oder sie kommen zum Schluss, dass die Software mit sog. Screenreader Anpassungen bedienbar gemacht werden kann.
Ist Ersteres der Fall, war der ganze Aufwand für die Katz. Nach intensiver technischer Prüfung und großem organisatorischem Aufwand steht dann fest: die Software ist nicht zugänglich. Für die Betroffenen bedeutet das: Verlorene Zeit und vertane Chancen, für die Gesellschaft hohe Kosten ohne Ergebnis.
Ist Letzteres der Fall, heißt es oft: "Der Aufwand für die Anpassung ist zu hoch und die Sache für ein Praktikum zu teuer.
Wenn ein Praktikum drei Monate lang dauern soll, die Beantragung für die Anpassung mit mehreren Vergleichsangeboten usw. und der anschließenden Einrichtung aber 6 Monate lang dauert, ist auch das für die Katz.
Kein Zentralregister, in dem man nachschauen könnte, ob eine Fachanwendung barrierefrei ist
Bis heute existiert keine öffentliche Stelle, die dokumentiert, welche Fachanwendungen barrierefrei sind. Wäre bekannt, dass ein bestimmtes Programm für Blinde unbedienbar ist, ließen sich viele Fehlversuche vermeiden.
In der Praxis führt das Fehlen solcher Informationen dazu, dass viele Versuche, blinde Menschen einzustellen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind – schlicht, weil die eingesetzte Fachanwendung nicht barrierefrei ist. Das bedeutet: viel Aufwand, viel guter Wille, aber am Ende unnötig hohe Kosten für die öffentliche Hand – und keinerlei Ergebnis. Aber wiederum viel für die Katz.
Abgesehen davon, dass die Situation für die Betroffenen von Nachteil ist, ist sie auch für die Menschen, frustrierend, die versuchen, Beschäftigungsmöglichkeiten für Sehbehinderte und Blinde zu schaffen.
Wir führen intern zwar eine Datenbank mit Erfahrungen über die Barrierefreiheit von Anwendungen, aber ohne Austausch zwischen Institutionen bleibt das Wissen fragmentiert.
Teure Provisorien und Umwege: Screenreader und Skripting
Viele Systeme sind zwar nicht von Haus aus barrierefrei, lassen sich aber mit sog. Anpassungen für Screenreader (z. B. NVDA, JAWS, oder auch Supernova) zumindest teilweise nutzbar machen. Diese Arbeit übernehmen spezialisierte Hilfsmittelfirmen, die Schnittstellen wie MSAA, UIA oder IA2 kennen und die Programmierumgebung der einzelnen Screenreader beherrschen, um skripten zu können.
Das klingt nach einer Lösung, ist aber ein teurer und zeitaufwändiger Umweg: Es ist, wie ich zeigen werde, sogar eine Falle und ein Geldgrab.
- Zunächst muss die Fachanwendung aufwändig evaluiert werden.
- Je komplexer das Programm, desto höher die Kosten für die Evaluation, also die Prüfung auf Barrierefreiheit
- Je komplexer das Programm, desto höher die Kosten für die Anpassung.
- IT-Fachleute müssen den Hilfsmittelfirmen Zugriff auf die Fachanwendungen geben, damit diese sie evaluieren können. ITler sind häufig aber schwer erreichbar. Allein der Aufwand für die Terminfindung ist hoch.
- Die Hilfsmittelfirmen machen nach erfolgter Evaluation dann ein Angebot.
- Die Kostenträger lassen sich Angebote von mehreren Firmen geben.
- Mehrere Firmen beschäftigen damit die ITler
- Während auf Kostenzusagen, Programmierung und Einweisung gewartet wird, können Arbeitssuchende nicht arbeiten.
Wenn die Betroffenen und evtl. auch die Beteiligten aus der Schwerbehindertenvertretung den Hindernislauf überhaupt überlebt haben, steht am Ende oft ein System, das zwar irgendwie funktioniert, die Betroffenen aber mit zusätzlichem Aufwand und Verzögerungen belastet.
Man könnte sagen, dass blinde Menschen nicht nur ihren Blindenstock haben, sie sind auch mit Bleischuhen unterwegs.
Doppelte Arbeit, mehrfach verkauft
Manche Hilfsmittelfirmen verkaufen bereits erstellte Skripte immer wieder neu. Angeboten wird Skripting zwar als Dienstleistung. Verkauft werden aber die Skripts selbst, die häufig nur in kompilierter Form also ohne offenen Quellcode geliefert werden.
Das tapfere Schneiderlein würde sagen: "Sieben Fliegen auf einen Streich!" Einmal gearbeitet, sieben Mal verkauft.
Da es kein Register für existierende Skripte gibt, ist Mehrfachabrechnung kaum nachweisbar. Neue Zeitstempel der Anpassungen lassen alte Dateien wie frisch entwickelt erscheinen.
Gleichzeitig arbeiten u.U. verschiedene Hilfsmittelfirmen parallel an Skripts für dieselben Fachanwendungen – jede für sich, jede mit öffentlichen Geldern finanziert. So entstehen unnötige Mehrfachentwicklungen, die weder den Betroffenen helfen noch die Kassen der Kostenträger schonen.
Ein Geschäft auf Kosten der Betroffenen?
Man könnte zugespitzt sagen: Die fehlende Barrierefreiheit wird zur Grundlage eines Geschäftsmodells. Einige Hilfsmittelfirmen profitieren von den teuren Anpassungen.
Die Betroffenen leben dagegen mit Umwegen, Verzögerungen, Abhängigkeiten und mit jeder Menge unnötigem psychischen Druck. Sie sind dauerhaft in der Warteschlange.
Die Folge: Statt Chancengleichheit und echter Teilhabe gibt es ein System, das Ressourcen verschlingt und den Zugang zum Arbeitsmarkt blockiert; Mission Bleischuh.
Hier stimmt etwas mit dem Anreizsystem nicht.
Eine einfache Frage an Hilfsmittelfirmen und an Berufsförderungswerke kann aufdecken, wer wirklich etwas bewegen will:
Fragen Sie: „Welche Hersteller von Fachanwendungen habt ihr kontaktiert, um dafür zu sorgen, dass deren Software von Grund auf barrierefrei wird?“
Wenn Skripte versagen: Unsichtbare Hürden für blinde Beschäftigte - das Technikmonster
Die Arbeit mit Fachanwendungen die nur mit Anpassungen, also Skripten funktionieren,
bringt für blinde und sehbehinderte Menschen zudem eine besondere Herausforderung mit sich:
Skripte, die den Zugang zu den Programmen ermöglichen sollen, funktionieren oft nicht mehr, sobald sich die Software ändert. Und das passiert regelmäßig.
Hersteller von Fachanwendungen entwickeln ihre Systeme stetig weiter – mit mehr Automatisierung, neuen Funktionen und Anpassungen an neuste, gesetzliche Vorgaben. Updates sind daher nicht Ausnahme, sondern die Regel. Doch genau diese Routine kann an einem Blindenarbeitsplatz fatale Folgen haben: Ein frisch eingespieltes Update genügt, und das Skript als Hilfssystem ist unbrauchbar.
Für die Betroffenen bedeutet das: Sie können ihre Arbeit nach einem Update plötzlich nicht mehr ausführen. In Behörden oder Unternehmen werden sie in solchen Situationen schnell als Problem wahrgenommen. Unter ohnehin hohem Arbeitsdruck verschärfen die notwendigen Fehlermeldungen und langwierigen Abläufe für die Programmierung neuer Skripte die Belastung. Wochen- oder gar monatelange Ausfälle sind keine Seltenheit – mit hohen Kosten für die Organisation. Schnell wird man als blinder Mensch als lahme Ente wahrgenommen.
Dabei ist das Konzept des Skriptens grundsätzlich fragwürdig.
Auf eine Software, die gerade im Fall von Windows nicht unbedingt stabil ist, kommt ein zusätzlicher, technischer Layer. Das ist der Screenreader. Dann kommt als zusätzliche Schicht noch das Skript obendrauf. Die Anwender müssen mindestens dutzende Befehle kennen, um den Screenreader zu bedienen, und dann müssen sie zusätzlich noch lernen, wie sie die Skripts bedienen.
Und da ist es, unser erstes Monster:
Es ist das Technikmonster Es ist auf der Mission Bleischuh.
Man könnte auch sagen: man arbeitet und eine Hand ist auf den Rücken gebunden, denn man arbeitet mit einer wackligen Konstruktion.
Die Arbeit mit komplizierten und instabilen Systemen demotiviert zudem. Ein Windstoß, und das Kartenhaus bricht zusammen.
Wenn man mit schlechter und instabiler Technik arbeitet, muss man zudem sehr viel wissen, um irgendwie zurecht zu kommen. Man muss sich mit einem unnötigen Ballast an Wissen ausstatten.
Als meine Familie in Siebenbürgen in Rumänien ein Auto anschaffte, war das für uns eine große Sache und ein alter weißer Käfer. Wir waren begeistert und er fuhr im Prinzip auch. Mein Vater hatte mir gezeigt, wo ich mit dem immer griffbereit liegenden Hammer auf den Anlasser klopfen musste, damit sich der Splint aus dem Ritzel des Anlassers löste und er den Motor anlassen konnte.
Dieser Kniff hat sich bei mir später in meinem Studium zumindest bezahlt gemacht, als ich meine Kommilitoninnen beeindrucken konnte, wenn sie mit ihrem alten Käfer mal wieder nicht vom Fleck kamen.
Schlechte Technik als Sprungbrett ins Arbeitsleben brauchen wir aber nicht.
Das stille Stigma
Noch gravierender als die wirtschaftlichen Folgen sind die persönlichen und sozialen Effekte. In den Augen vieler Beteiligter – etwa Schwerbehindertenvertretungen, Betriebsräte oder Personalabteilungen – erscheinen die geschilderten Probleme als unvermeidlich. Die Hilfsbereitschaft ist oft da, wird aber durch die Kompliziertheit der Fälle auf eine harte Probe gestellt.
Für die Betroffenen selbst hat das schwerwiegende Konsequenzen:
Die wegen der fehlenden Barrierefreiheit auftretenden Probleme werden indirekt ihnen zugeschrieben. Sie gelten als die, die „ständig Probleme machen“ oder durch ihre Hilfsmittel die Arbeit verlangsamen. Das schafft Abhängigkeit, fördert ein Gefühl der Ohnmacht und hemmt die Eigeninitiative.
Der Fehler in einem technischen System wird den Betroffenen zugeschrieben.
Karriererisiko statt Chancengleichheit- das Administrationsmonster
Neben den immensen Kosten für Arbeitgeber haben die Betroffenen ein strukturelles Handicap auf dem Arbeitsmarkt. Besonders für Menschen, die nach einer Erblindung den Weg zurück ins Berufsleben suchen, ist das fatal. Statt Unterstützung stoßen sie auf technische und bürokratische Hindernisse, die zusätzlichen Stress erzeugen.
Ich möchte zwei Beispiele nennen.
Eine etwa 40-jährige Frau, verheiratet, zwei Kinder, kämpft mit ihrem Sehverlust. Bei einem Visus von knapp 5 % ist sie auf Sprachunterstützung angewiesen. Das Programm, mit dem sie bei einem Branchenverband arbeitet, ist nicht barrierefrei und ändert sich zudem häufig.
Der Chef ist prinzipiell hilfsbereit, selbst aber überfordert. Er ist auf ihre Zuarbeit angewiesen, um mit seinem eigenen Arbeitspensum klarzukommen. Da sie nicht mehr so liefert, wie sie das als Arbeitstier früher gemacht hat, steigt der unterschwellige Druck. Die Dame bricht zusammen, geht in Therapie und ist dann nach längerer Zeit über eine BEM-Maßnahme wieder zurück an der Arbeit. Die Therapie bezahlt die Krankenkasse.
Eine Dame bei einem Ministerium in NRW meldet sich. Sie kann seit zwei Jahren nicht arbeiten. Alle wissen Bescheid. sie nimmt sich Hörbücher mit auf die Arbeit, um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Alle wissen Bescheid. Sie fühlt sich nicht gebraucht und nicht geschätzt. Und sie fühlt sich so mit Recht.
Für viele Personalabteilungen wirken die Probleme abschreckend: blinde Menschen einzustellen erscheint riskant, kompliziert und personalintensiv – also genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen. Dabei könnten blinde und sehbehinderte Beschäftigte hervorragende Arbeit leisten, wenn die Hilfsmittel stabil und barrierefrei integriert wären.
Strukturen, die am Problem festhalten - Wir bilden einen Stuhlkreis - das Rehamonster
Ein weiteres Hindernis: Manche Reha-Einrichtungen verharren in den gewohnten Denkmustern. Statt Softwarefirmen zur Entwicklung barrierefreier Fachanwendungen zu bewegen, verweisen ihre Beraterinnen und Berater ihre Klienten an Hilfsmittelfirmen, die wie oben beschrieben am Geschäft mit Skripten verdienen – und damit den Status quo zementieren.
Einige Rehaeinrichtungen finanzieren sich zu einem erheblichen Teil dadurch, dass sie Dienstleistungen wie Einschätzung des individuellen Leistungsprofils von Klienten, diverse Schulungs- und On-Boarding-Maßnahmen wie z.B. Case-Management anbieten.
Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen beraten dabei die Klienten und "verschreiben" ihnen direkt Produkte aus dem eigenen Haus.
Ach, du hast Mobilitätsprobleme? Kein Problem, wir haben Mobilitätstrainer.
Ach, du kannst Word noch nicht gut bedienen? Kein Problem, wir bieten dir Grundlagen der Textverarbeitung an. Die DRV zahlt.
Ach, du fühlst dich unsicher im Bewerbungsgespräch? Kein Problem, unser motiviertes "Social-Skill-Team" trainiert dich praxisbezogen. Du kannst dann folgendes im Schlaf rückwärts pfeifen:
"Ich bin eine sehr motivierte, teamorientierte, belastbare und kreative Alleskönnerin und freue mich meine außergewöhnlichen Fähigkeiten in Ihrem Team einbringen zu können."
Ach ja, und deine Körpersprache ist suboptimal. Kein Problem.
Und an deiner stimmlichen Ausdrucksweise müssen wir auch arbeiten.
Ach ja, und Empowerment Training bieten wir auch an und Resilienz lernst Du irgendwann auch.
Wenn ich als Blinder bereits drei Bewerbungstrainings gemacht habe und immer noch keine Stelle habe und mir die Reha-Einrichtung dann ein Viertes empfiehlt, ist mir doch völlig klar, dass ich selbst das Problem bin. Man hat es mir doch tausendmal gesagt, und ich krieg es immer noch nicht hin.
Wir bilden dann einen Stuhlkreis und jeder sagt, wie er sich fühlt.
anstatt den unnötigen, technischen und administrativen Ballast abzuwerfen, werden die Klienten darin geschult, wie sie mit dem Ballast im Berufsleben besser zurechtkommen. Die Betroffenen sind praktisch das Problem und müssen sich besser anpassen. Das ist das Rehamonster.
Es ist so, als hätte ein Rollstuhlfahrer einen Zementsack dabei. Und der Ratschlag lautet:
"Du musst deine Oberarme trainieren, dann bist du schneller!"
Dabei gibt es bei den Rehaeinrichtungen empathische Menschen, die wirklich helfen wollen. Das steht außer Frage. Falsche ökonomische Anreize fördern hier aber eine Fehlentwicklung. Die Folge: Eine Spirale aus Abhängigkeit, Kosten und Frustration, die weder den Betroffenen noch den Arbeitgebern nützt.
Ist zu viel Geld im System? Das Kostenmonster
Technikmonster, Administrationsmonster und Rehamonster sind gute Freunde. Sie helfen und unterstützen sich gegenseitig und bilden zusammen das Kostenmonster.
Es gibt einen Esel, der Gold bereitstellt. Im System ist so viel Geld, dass es gar kein Problem ist, es falsch auszugeben. Aus den Rentenversicherungsbeiträgen, aus Mitteln der Ausgleichsabgabe aus den Beiträgen für die Arbeitslosigkeitsversicherung und den Beiträgen für die Berufsgenossenschaften und Sozialversicherungen fließt ein signifikanter Anteil nicht in die Lösung der Probleme, sondern in deren Aufrechterhaltung.
Anstatt einen porösen Reifen an einem Rollstuhl zu erneuern und das Problem damit an der Wurzel anzugehen, werden Hilfskräfte bezahlt, die die Reifen immer mal wieder aufpumpen. Viel Aufwand, viel Aktivität für die Katz.
Wenn ich Geld falsch ausgebe, verschwindet mein Problem nicht. Ich brauche immer mehr Geld.
Ach, Das klingt ja alles so traurig.
Nun, ganz so traurig ist die Lage nicht.
Wir haben in Deutschland mit den Finanzierungsmöglichkeiten nach SGB eine im Vergleich sehr gute Situation. Ich kenne viele Blinden- und Sehbehindertenarbeitsplätze, die sehr gut laufen.
Unser Sohn, der seit 2004 des Öfteren auf Hilfsmittelausstellungen mitgearbeitet hat, sagte mir vor langer Zeit einmal:
"Papa, in was für einem geilen Land leben wir eigentlich. Du wirst blind, und der Staat bezahlt dir eine blindentechnische Ausbildung und danach eine Arbeitsplatzausstattung vom Feinsten. Und für mich springen auch noch einige Kröten als Taschengeld raus."
Dass Berufsförderungswerke für Blinde nötig und hilfreich sind, habe ich spätestens begriffen, als ich einmal beim BFW in Würzburg war. Da sprach ich mit einer Dame, die gerade erblindet war. Sie sagte mir sinngemäß:
"Wenn es hier Frau Jordanovic nicht gäbe, dann käme ich mit meinem Leben gar nicht mehr zurecht.“ Der Name ist beinahe frei erfunden.
Damals ist bei mir der Groschen gefallen. Es gibt sehr gute Gründe für eine psychologische Betreuung und auch für andere Maßnahmen. Wenn man erblindet ist und der ursprüngliche Lebensplan wie ein Haufen Scherben vor einem liegt, ist Unterstützung sehr wohl nötig.
Wir müssen nur aufpassen, dass wir die Gelder nicht fehlleiten.
Was ist also zu tun?
Wir machen das barrierefrei
Um etwas zu verändern und die unnötigen, bürokratischen und technischen Hürden abzubauen lohnt es sich, den Status Quo zu verstehen.
Viele Unternehmen im Hilfsmittelmarkt haben kein echtes Interesse daran, dass Fachanwendungen wirklich barrierefrei werden. Ihr Geschäftsmodell basiert vielmehr darauf, dass bestehende Software nur eingeschränkt nutzbar ist – und sie genau dafür provisorische und teure Zusatzlösungen verkaufen. Es gibt nichts Dauerhaftestes als ein Provisorium könnte man sagen.
Oft wird sogar behauptet: „Wir machen diese Anwendung barrierefrei.“ Das ist jedoch irreführend. In Wahrheit werden die Programme lediglich vorübergehend bedienbar gemacht. Barrierefrei wären sie nur dann, wenn die Hersteller ihre Software von Anfang an so gestalten würde, dass sie ohne Hilfskonstruktion bedient werden kann.
Die Folge: Statt die Ursache zu beheben, wird an den Symptomen herumgedoktert. Bezahlen müssen das am Ende die öffentliche Hand und die Betroffenen – etwa durch Nachteile im Berufsleben.
Ein Bild verdeutlicht die Lage: Es ist so, als würden wir keine Niederflurbusse bauen, sondern stattdessen Firmen dafür bezahlen, dass sie jemanden im Bus mitfahren lassen, um Rollstuhlfahrer jedes Mal in den Bus hinein- und hinauszuheben.
Der Bus als System wird dadurch nicht barrierefrei.
Ist die provisorische Lösung das Problem?
In Deutschland gibt es kaum Hilfsmittelfirmen, die sich ernsthaft und proaktiv für Barrierefreiheit einsetzen. Vor allem dort, wo der Screenreader „JAWS“ im Einsatz ist, zeigt sich ein seltsames Bild: Statt die Probleme zu lösen, werden Skripte als provisorische Lösung verkauft, die Mängel kurzfristig kaschieren.
„JAWS“ selbst enthält Funktionen, die fehlende Barrierefreiheit verschleiern. Ein Beispiel: Eingabefelder ohne korrekt zugeordnetes Label. Technisch ist das so, als würde ein Klingelknopf ohne Namensschild an einer Tür hängen. Der Screenreader erkennt zwar den Knopf, kann aber nicht sagen, wozu er gehört. Der Name wird nicht angesagt.
Mit heuristischen Methoden versucht „JAWS“, solche Informationen zu erraten – oft erfolgreich. Doch der Preis ist hoch: Die eigentliche Problematik bleibt unsichtbar. Wenn man Schlaglöcher einfach umfährt, statt sie zu reparieren, verschwinden sie nicht.
Wenn man beispielsweise die Konferenzsoftware Zoom mit JAWS verwendet und die entsprechenden JAWS-Skripts abschaltet, geht so gut wie gar nichts mehr. Mit Skripts ist Zoom aber bedienbar. In der Praxis bedeutet das für den Hersteller von Zoom, dass er gar nicht mitbekommt, dass sein Produkt nicht barrierefrei ist. Wenn er es nicht einmal mitbekommt, woher soll dann das Interesse kommen, das Produkt barrierefrei zu bauen?
Haben wir uns mit Mittelmäßigkeit eingerichtet? Ist es ein wenig so wie mit dem Mann dessen Garagendach schon immer undicht war und tropfte. Er sagte:
"Wenn es regnet, kann ich nicht arbeiten. Und wenn die Sonne scheint, tropft es ja nicht. Dann habe ich keinen Grund, es zu reparieren."
Also bleibt alles wie es ist.
Die Firma Baum, die im Jahr 2018 leider Konkurs gegangen ist, und mit COBRA, wie manche Leute meinen, den besten Screenreader hatten, hatten tatsächlich Kontakt zu Herstellern von Fachanwendungen. Baum hat damals mit Softwareentwicklern zusammengearbeitet. Z.B. mit AKDB, der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern. Baum hat den Entwicklern die Problematik damals praktisch vorgeführt und zumindest in Teilen erreicht, dass die Software von AKDB barrierefreier wurde. Genau so muss es laufen.
NVDA zeigt die Schwachstellen eher auf; Verschleiert aber auch
Etwas günstiger verhält es sich mit dem kostenlosen Screenreader NVDA. Er benennt Schalter ohne Beschriftung schlicht als „Schalter“ und Eingabefelder ohne Label als „Eingabefeld“. Das ist ehrlicher – und macht sofort sichtbar, wo Barrieren bestehen.
Gerade deshalb eignet sich NVDA besser, um Systeme auf Barrierefreiheit zu testen. „JAWS“ verschleiert die Realität etwas und verhindert so eher, dass ein Anreiz entsteht, die ursächlichen Probleme zu beheben.
Aber NVDA verdeckt fehlende Barrierefreiheit teilweise auch. Die entsprechenden Funktionen befinden sich weniger in den Skripts, bzw. den sog. Add-Ons, sie sind im Kern des Programmes selbst. Da der Programmcode aber offen ist, kann man solche Stellen immerhin identifizieren.
Zur Ehrenrettung der Screenreader Hersteller, JAWS, NVDA, Supernova möchte ich sagen, dass die Hersteller in einer schwierigen Situation sind. Sie stellen fest, dass alle möglichen Anwendungen nicht barrierefrei sind. Jeden Hersteller weltweit zu kontaktieren und zu barrierefreiem Programmieren zu motivieren ist illusorisch. Zudem gibt es kein Geschäftsmodell, das für die Screenreader Hersteller so funktionieren könnte. Gleichzeitig wollen sie den Anwenderinnen und Anwendern helfen mit Programmen arbeiten zu können. Also gehen sie hin und fangen an Flicken zu bauen.
Funktionieren die Marktmechanismen eigentlich und wer sind die konstruktiven Player?
Der Markt für Screenreader wird von nur wenigen Herstellern dominiert. Dabei scheint es nicht immer ausschließlich um das beste Produkt für die Nutzerinnen und Nutzer zu gehen, sondern oft auch um die Sicherung eigener Marktpositionen. Ein Beispiel dafür liefert der größte Screenreader Hersteller Vispero, der einen wichtigen Konkurrenten übernommen hat – und dessen Produkt anschließend vom Markt verschwand. Der Löwe hatte die Gazelle gefressen.
Auch die für 2025 angekündigten Preiserhöhungen lassen viele Nutzerinnen und Nutzer vermuten, dass wirtschaftliche Interessen zunehmend im Vordergrund stehen. Hinzu kommt ein neues Lizenzmodell: Wer seinen Screenreader länger als drei Jahre nicht kostenpflichtig aktualisiert hat, muss künftig eine neue Lizenz erwerben. Für viele wirkt das so, als würde der Heizungsmonteur sagen:
"Du musst eine neue Heizung kaufen."
Und darauf antworten sie dann: "Warum?"
"Du hast sie drei Jahre lang nicht gewartet."
Sobald man einmal im System steckt, hat man kaum Alternativen.
Die Private-Equity-Gesellschaft Vector Capital hat in den vergangenen Jahren einige Firmen übernommen. Darunter Freedom Scientific (Hersteller von JAWS) und Optelec – und sie unter dem Dach von Vispero zusammengeführt. Venture-Capital-Firmen sind grundsätzlich nichts Negatives: Viele Start-Ups konnten sich nur durch Investorenkapital am Markt etablieren.
Ein Blick auf die Website von Vector Capital zeigt allerdings eine lange Liste von Beteiligungen in unterschiedlichsten Branchen. Vispero ist darin nur eine von vielen Firmen. Es fällt daher schwer zu glauben, dass bei solchen Investitionen in erster Linie die berufliche Teilhabe blinder Menschen im Fokus steht.
Vispero hat im Zuge seiner Expansion auch den früheren Konkurrenten GW Micro übernommen und den Screenreader Windows-Eyes eingestellt.
Das wirft Fragen auf:
Warum kauft ein Unternehmen seinen Wettbewerber – und warum verschwindet dessen Produkt anschließend vom Markt? Geht es dabei um Wettbewerb als Innovationsmotor, oder eher darum, Konkurrenz auszuschalten?
Man könnte es vergleichen mit einer Kleinstadt, in der es nur noch einen Bäcker gibt. Die Preise sind hoch, die Öffnungszeiten unregelmäßig, die Qualität schwankt – aber mangels Alternativen stellen sich die Kunden trotzdem geduldig an, und sie bezahlen jeden Preis.
Das Projekt "NVDA nachhaltig" - Licht am Horizont
Erfreulicherweise gibt es mit "NVDA" einen kostenlosen Screenreader, der sich in der Praxis sogar als schneller und stabiler erweist als viele Produkte der Marktführer. Zwar bietet die Software noch nicht alle gewünschten Einstellungsmöglichkeiten „Out of the Box“ – Nutzerinnen und Nutzer müssen regelmäßig sogenannte Add-Ons nachinstallieren – doch profitiert das Projekt von einer starken internationalen Entwickler-Community. Da es sich um Open Source handelt, treiben Fachleute aus aller Welt die Weiterentwicklung mit hohem Tempo voran.
Zusätzliche Impulse setzt das Projekt „NVDA nachhaltig“, das vom Berufsförderungswerk Würzburg und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband initiiert wurde. Ziel ist es, die Verbreitung und kontinuierliche Verbesserung des Screenreaders langfristig zu sichern. Das Projekt wurde u.a. auch im Podcast "Teilhabeforum" in 2025 vorgestellt.
Barrierefreie Fachanwendungen: Ein Gewinn für Wirtschaft und Gesellschaft
Barrierefreiheit in Fachanwendungen ist längst kein Randthema mehr. Was oft als notwendige Maßnahme für Menschen mit Behinderungen verstanden wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als ökonomischer und organisatorischer Vorteil für alle.
Einige Nutzerinnen und Nutzer ohne Einschränkungen greifen ohnehin lieber auf Tastaturbefehle zurück, anstatt mit der Maus zu arbeiten.
Wer die Kommandos kennt, arbeitet häufig deutlich schneller. Für blinde Menschen ist die Bedienung per Tastatur allerdings unverzichtbar – und damit eine Grundvoraussetzung für die Nutzung moderner Fachsoftware.
Weniger Hürden, geringere Kosten
Werden barrierefreie Fachanwendungen eingesetzt, entfallen aufwendige und teure Einzelfallprüfungen Hinsichtlich der Bedienbarkeit mit Screenreadern. Blinde oder sehbehinderte Beschäftigte benötigen lediglich ihre persönliche Assistenztechnik wie Screenreader oder Braillezeile. Der bisher übliche Verwaltungsaufwand, bei dem Personalabteilungen, Schwerbehindertenvertretungen und IT-Abteilungen involviert sind, entfällt weitgehend.
Auch der berüchtigte Flickenteppich an nachträglichen Anpassungen, der dauerhaft hohe Kosten verursacht, wird überflüssig.
Die Bleischuhe bleiben zurück, und mit leichten Sport- und Freizeitschuhen geht es weiter.
Neue Chancen für den Arbeitsmarkt
Die Folgen reichen über die Unternehmen hinaus. Wenn Barrieren in Software verschwinden, können Menschen mit Behinderungen leichter am Arbeitsmarkt teilnehmen. Das reduziert die Abhängigkeit von Experten bei Hilfsmittelfirmen oder Vermittlungsstellen wie Arbeitsagenturen und Integrationsfachdiensten. Stellensuche und Einstellung werden entbürokratisiert: weniger Anträge, weniger Wartezeiten, geringere Kosten.
So lassen sich Beschäftigungsquoten von Menschen mit Behinderungen deutlich steigern – ganz ohne kostspielige Förderprogramme. Gleichzeitig erhalten Unternehmen Zugang zu einer bisher ungenutzten Fachkräfte-Reserve, ein entscheidender Vorteil in Zeiten des Fachkräftemangels.
Karriere auf Augenhöhe
Barrierefreie Systeme schaffen die Voraussetzung dafür, dass Menschen mit Behinderungen Karrierewege einschlagen können, die ihrer Qualifikation entsprechen – unabhängig von technischen Hürden. Führungspositionen rücken in greifbare Nähe, und der Wettbewerb kann auf Augenhöhe stattfinden.
Kurzum* Barrierefreie Fachanwendungen sind kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in Effizienz, Teilhabe und Wettbewerbsfähigkeit.
Der Gesetzgeber gab und gibt Impulse in die Richtige Richtung
wie immer im Verlauf der technologischen Entwicklung kamen zuerst die Innovationen und dann die versuche, deren gesellschaftliche Auswirkungen zu regulieren.
Als deutlich wurde, dass digitale Systeme und digitale Kommunikation Wirtschaft, Verwaltung und alle Bereiche des Lebens durchdringen würden, wurde auch klar, dass diese Systeme so sein mussten, dass sie auch von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen benutzt werden können. In der Folge gab es etliche, rechtliche Regelungen.
- 2002: Mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) schuf der Gesetzgeber die Grundlage für Barrierefreiheit in Deutschland. Es verpflichtete zunächst öffentliche Stellen des Bundes, barrierefreie Angebote bereitzustellen.
- 2002: Die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV 1.0* konkretisierte die Anforderungen für Internetauftritte der Bundesbehörden. Sie orientierte sich bereits an internationalen Standards (WCAG 1.0).
- 2006: Mit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, die Deutschland 2009 ratifizierte, bekam das Thema mehr Gewicht. Artikel 9 der Konvention fordert ausdrücklich die Barrierefreiheit in der Informations- und Kommunikationstechnologie.
- 2011–2016: Schrittweise Anpassungen der BITV, u.a. im Hinblick auf mobile Anwendungen und bessere Durchsetzung.
- 2016: Die EU-Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen wurde verabschiedet. Deutschland musste sie umsetzen.
- 2018: Inkrafttreten der BITV 2.0, die WCAG 2.0 als verbindlichen Standard für öffentliche Stellen festlegte. Gleichzeitig wurde ein verpflichtendes Überwachungs- und Beschwerdesystem eingeführt.
- 2019: Die EU erließ den European Accessibility Act (EAA (Richtlinie 2019/882), der Barrierefreiheit auch für den privaten Sektor vorsieht (z. B. für Online-Shops, Bankdienste, E-Books, Ticketverkauf).
- 2021: Deutschland setzte dies mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) um.
- 2022: Anpassungen im BGG und den BITV-Regelungen, u.a. mit Bezug auf Überwachungsstellen und konkrete Prüfverfahren.
- Ab 28. Juni 2025 müssen viele private Unternehmen barrierefreie digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten. Das legt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fest.
Und das können wir tun, um die Situation zu verbessern.
Die Möglichkeiten sind so gut wie noch selten.
Den Bock, der zurzeit als ABM-Maßnahme, als Gärtner beschäftigt ist, holen wir aus dem Garten raus. Er darf auf der offenen Wiese grasen und zudem noch seine Freiheit genießen. Und die Ziege ist auch dabei.
Zunächst sollten wir unsere Handlungsmöglichkeiten ausloten und sie nicht unterschätzen. Man kann sehr viel tun.
Z.B. diesen Artikel auf LinkedIn, auf anderen sozialen Medien, in Mailinglisten usw. verbreiten. Es muss ihn nur der richtige Mensch lesen. X-en oder twittern Sie den Beitrag. Hauptsache, die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass wir es erheblich besser machen können, als wir es zurzeit gerade tun.
Nehmen wir einmal an, dass Dr. Markus Richter, der Chief Information Officer vom Bund und Staatssekretär im Digitalministerium durch den Artikel erfährt, dass man Gutes tun kann und dabei noch Geld spart, dann hätten wir schon mal einen Freund gewonnen.
Jetzt soll niemand sagen: "An den komm ich nicht ran." Es lohnt sich, mit der Schwerbehindertenvertretung zu sprechen. An die lokale SBV kommen alle ran. Die lokale SBV kann mit der Gesamtschwerbehindertenvertretung sprechen. Das ist wie stille Post, nur dass es nicht still ist.
Ich kenne eine Dame bei einem Innenministerium eines Bundeslandes. Sie ist die Hauptschwerbehindertenvertreterin und ich weiß, dass sie praktisch zu jedem Menschen in der Administration und in der Regierung Zugang bekommt, wenn sie es will.
Also einfach bei der lokalen SBV oder bei den Schwerbehindertenbeauftragten von Behörden und Firmen anfangen. Menschen wie der CIO vom Bund gibt es überall. Jedes Bundesland hat einen CIO. Ruhig die Digital- oder Wirtschaftsministerien der Länder kontaktieren. Warum nicht versuchen, Kontakt mit deren wissenschaftlichen Beiräten zu bekommen. Die wissenschaftlichen Beiräte beschäftigen sich häufig mit Strukturanalysen. Wenn die erstmal rausbekommen haben, dass man viele Millionen einsparen kann und die Situation noch besser wird, bekommen die ein ganz breites Grinsen ins Gesicht. Sie können schon sehen, wie der Pleitegeier an ihnen vorbeifliegt. Die vielen Millionen gehen jedes Jahr den Bach runter und das nicht nur einmal. Über die Einsparungen würde sich auch der Bundesadler freuen.
- In Behörden und in Firmen die Info verbreiten, dass Barrierefreiheit als Merkmal in Ausschreibungen stehen muss, wenn neue Systeme angeschafft werden sollen. Das ist nämlich des Pudels Kern. Gerne auch auf das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz hinweisen.
- Wenn bei Behörden oder bei Firmen neue Fachanwendungen eingeführt werden sollen, muss das Thema Barrierefreiheit als zentrale Anforderung als Teil der Ausschreibung benannt werden. Damit wird den Herstellerfirmen signalisiert, dass sie nur dann eine Chance auf Zuschlag haben, wenn sie das Thema bedienen.
- Software nur dann abnehmen, wenn sie von selbst betroffenen Menschen und von IT-Fachkräften getestet und als barrierefrei freigegeben wurde.
- Die Softwarehersteller nicht als Gegner, sondern als potenzielle Partner behandeln. In dem Moment, in dem man einen persönlichen Kontakt zu einzelnen Entwicklern oder zu Entwicklungsteams hat, gewinnt man Freunde, denn die Hersteller erkennen schnell, dass Barrierefreiheit ihrer Produkte ein Merkmal für gute Qualität ist.
Software wird standardmäßig für sehende Menschen hergestellt. Wenn blinde und sehende Menschen auf Hersteller zugehen und vermitteln, dass Sie mit Softwaresystemen sehr gut arbeiten können, wenn diese Systeme barrierefrei sind, haben die Hersteller die Chance, direkt und anschaulich zu erleben, was Barrierefreiheit wirklich bedeutet. Dann entwickeln sie ihre Systeme für ein breiteres Publikum. Ohne diese persönlichen Kontakte bleibt Barrierefreiheit u.U. ein abstraktes Gebilde.
Positive Beispiele herausstellen
"Produkt A kann dies und das und ich kann es als Blinder super bedienen. Das ist bärenstark. Kann das Euer Produkt auch?“
- Bei der DRV in Berlin wird eine neue Fachanwendung entwickelt, mit dem die DRV ihr Kernsystem modernisiert, IT-Infrastruktur neu ausrichtet und Sachbearbeitung/Prozesse stärker automatisiert. Das System heißt "RV Evolution". Ein blinder Jurist und mindestens ein blinder ITler begleiten die Entwicklung, und sorgen dafür, dass das System barrierefrei wird. Barrierefreiheit wurde diesem Projekt quasi schon in die Wiege gelegt. Damit öffnen sich bei der DRV die Türen für sehbehinderte und blinde Menschen. Bleischweren Ballast gibt es nicht, und es gibt auch keine Zwangsgelder mehr, die bezahlt werden müssen, damit blinde Menschen beruflich eingebunden werden können. Dieses Projekt wurde auch im Podcast "Teilhabeforum" vorgestellt. Und der Sparfuchs kriegt sich vor Freude gar nicht mehr ein, denn er kann sparen, sparen, sparen.
Auch von der Agentur für Arbeit weiß ich, dass nur noch barrierefreie Software angeschafft wird. Und bei der Bundesnetzagentur gibt es eine vergleichbare Regelung.
In der Justiz Niedersachsen ist ein sehbehinderter Richter sehr aktiv, und kümmert sich darum, dass Basissoftware für die Justiz barrierefrei wird. Dies wirkt sich auf die Systeme der gesamten Republik aus.
- Mit Softwarelieferanten und -Herstellern sprechen
Heutzutage benutzen fast Alle Software in ihrer Arbeit. Geben Sie den Lieferanten und Herstellern Feedback. Schreiben Sie ihnen was sie gut und was sie weniger gut finden. Software ist das Medium, durch das wir miteinander kommunizieren, das Medium, durch das wir auf unsere materielle Umwelt Einfluss nehmen, z.B. wenn wir einen Pass beantragen. Die Informationsverarbeitung ist die Kernfunktion des Lebens selbst. Wir haben damit Alle ein Interesse daran, dass sie gut funktioniert.
- Melden Sie an Microsoft, dass jede Änderung an der Bedieneroberfläche von Word, für Sie eine Arbeitsunterbrechung bedeutet und eine Hürde darstellt. Sagen Sie Microsoft, dass es Ihnen wichtig ist, dass immer das klassische Design als Option beibehalten werden soll. Damit ist es kein Problem, wenn Änderungen für Sehende entwickelt werden.
- Bevorzugen Sie diejenigen Hilfsmittelfirmen, die sich für echte Barrierefreiheit einsetzen.
- Nehmen Sie die Hilfsmittelfirmen in die Pflicht. Machen Sie ihnen klar, dass sie tendenziell eher Nachteile als Vorteile haben, wenn sie das alte Geschäftsmodell weiter reiten.
- Geben Sie App-Herstellern Feedback, wenn Sie finden, dass ihre App sehr gut bedient werden kann. Ein Lob tut gut.
- Lassen Sie es App-Hersteller wissen, wenn deren Apps nicht oder nur teilweise barrierefrei sind.
- Überzeugen Sie Beschäftigte von Integrationsfachdiensten, von Berufsförderungswerken, von Rehabüros der Rentenversicherung und von Reha Abteilungen der Arbeitsagentur, dass sie ihrerseits Barrierefreiheit von Softwaresystemen einfordern sollen. Überall und in allen Einzelfällen, in denen sie aktiv sind. Wenn der destruktive, technische Ballast erstmal weg ist, können sie mit ihrer Empathie, mit ihrem persönlichen sozialen Engagement weit mehr erreichen als sie es jetzt können.
- Benutzen Sie alternative Bedieneroberflächen
Das Prinzip „Design for All“ hat Grenzen. Indem ein Design für alle entwickelt wird, werden die Interessen spezifischer Gruppen nicht oder zu wenig berücksichtigt.
Bei dem Prinzip One for One wird dagegen eine Lösung geschaffen, die perfekt auf eine klar definierte Nutzergruppe passt, und damit besonders effektiv und angenehm ist. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Organizer mit Braille-Ein- und -ausgabe, die Notiz und Kalenderfunktionen anbieten.
Es gibt auch Zwischenlösungen wie z.B. das Tool "total Commander"
Der Total Commander ist ein leistungsstarkes Dateiverwaltungsprogramm für Windows, das sich vor allem durch seine hohe Effizienz, Anpassbarkeit und Funktionsvielfalt auszeichnet. Das Programm lässt sich mit Screenreadern perfekt bedienen.
Wenn sich der Windows-Explorer signifikant ändert, wie z.B. beim Übergang von Windows 10 auf Windows 11, hat man als blinder Anwender keinerlei Umstellungsaufwand, wenn man TC verwendet.
- Bilden Sie einen Fischschwarm. Vernetzen und verbünden Sie sich. Mit Schwarmintelligenz werden gute Lösungen schnell gefunden. In Technikforen diskutieren sehbehinderte und blinde Menschen über nützliche Programme. Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen ist riesengroß.
- Melden Sie Barrieren an die Überwachungsstelle des Bundes für die Barrierefreiheit von Informationstechnik oder an die entsprechenden Landesfachstellen über den jeweils aktuellen Stand der Barrierefreiheit in Deutschland. Das BFIT liefert nach einem festgelegten Protokoll periodisch Informationen an die EU.
- Finden Sie Menschen mit den gleichen Interessen und tauschen Sie sich aus.
- Melden Sie den Landes- und Rechnungshöfen, dass es in der Branche massive Einsparpotenziale gibt. Und informieren Sie auch den Bund der Steuerzahler.
- Unterstützen Sie Projekte, aus der Blindenselbsthilfe wie z.B. das Projekt "NVDA nachhaltig" oder die Projekte, die der DVBS durchführt.
- Informieren und überzeugen Sie Arbeitgeber und Personalleute davon, dass blinde Menschen hervorragende Arbeit leisten können. Ich würde mich selbst jedenfalls einstellen. :-)
- Wir haben jetzt eine enorme Chance: wir können eine schlechte Technik, unter der das ganze System ächzt, durch intelligente und nachhaltige Technik ersetzen. Menschen aus der Community haben die Chance zu zeigen, wie man die Bürokratie entschlacken und sie gleichzeitig leistungsfähiger machen kann. Wir können zeigen, dass man mit weniger Kosten sogar, mehr Innovation und Agilität schaffen kann, und dass sehbehinderte und blinde Menschen eine Vorreiterrolle einnehmen können. Wenn wir den technischen Ballast los sind, wird das Thema "berufliche Teilhabe sehbehinderter und blinder Menschen" neu definiert. Es wird ein Spaßthema.
Also, Raus aus den Bleischuhen, rein in die Sport- und
Freizeitschuhe. Bleifrei leben wir besser.
Diesen Fachbeitrag finden Sie auch auf
www.dlinfo.deDort gibt es auch weitere Ressourcen zu dem Thema.
Vom Bleischuh zum Sportschuh - von Hansjörg LienertVom Bleischuh zum Sportschuh - Zusatzinformationen
Hansjörg Lienert im Oktober 2025
Vom Bleischuh zum Sportschuh - Zusatzinformationen
Bundesebene
Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT?Bund)
Adresse: Wilhelmstraße 139, 10963 Berlin. ([bfit-bund.de][1])
Telefon: 030 / 844 1489-0
www.bfit-bund.de
E-Mail: kontakt@bfit-bund.de
Aufgabe: Überwachung der Umsetzung der Gesetzes- und Verordnungsanforderungen an die digitale Barrierefreiheit öffentlicher Stellen des Bundes.
Hinweis zur Meldung: Es gibt hilfreiche Hinweise auf dem Portal „Wie melde ich entdeckte Barrieren?“ für digitale Angebote.
www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.deLandesebene
Hier ist eine Auswahl von Landesfachstellen bzw. Fachstellen für Barrierefreiheit in den Bundesländern (nicht ganz vollständig mit allen Kontaktdaten, aber mit den wichtigsten Angaben):
- Baden-Württemberg: Landeszentrum Barrierefreiheit (LZ-BARR), Else-Josenhans-Str. 6, 70173 Stuttgart. Tel. 0711 123-3636. E-Mail: post(at)barrierefreiheit.bwl.de
- Bayern: Beratungsstelle Barrierefreiheit, Bayerische Architektenkammer, Waisenhausstraße 4, 80637 München. E-Mail: info(at)beratungsstelle-barrierefreiheit.de
- Berlin: (Überwachungs-/Fachstelle) Überwachungsstelle für digitale Barrierefreiheit Berlin, Jüdenstraße 1, 10178 Berlin. Tel. 030 90223-1527 Berlin.de
- Brandenburg: (Fachstelle) — genannt auf der Übersicht bei der Bundesfachstelle. Bundesfachstelle Barrierefreiheit
- Bremen: Fachstelle — genannt in der Übersicht, konkrete Adresse siehe dort. wohnungsanpassung-bag.de)
- Hamburg: Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg, Alsterdorfer Markt 7, 22297 Hamburg. Tel. 040 855 99 20 0. E-Mail: info(at)kompetent-barrierefrei.de Bundesfachstelle Barrierefreiheit
- Hessen: Landeskompetenzzentrum für Barrierefreie IT (LBIT) – laut Angaben zuständig für digitale Barrierefreiheit in Hessen.
- Mecklenburg-Vorpommern: (Fachstelle) – genannt auf der Übersicht. ([Bundesfachstelle Barrierefreiheit][1])
- Niedersachsen: Landeskompetenzzentrum für Barrierefreiheit Niedersachsen, bei der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Hannah-Arendt-Platz 2, 30159 Hannover. Tel. 0511 1204010. E-Mail: LKB(at)ms.niedersachsen.de
- Nordrhein-Westfalen: Agentur Barrierefrei NRW. Tel. 02335 968159. E-Mail: ab-nrw(at)kb-esv.de
- Rheinland-Pfalz: genannt auf der Übersicht der BFIT
- Saarland: Landesfachstelle Barrierefreiheit, Halbergstraße 50, 66111 Saarbrücken. Tel. 0681 501-3325. E-Mail: barrierefreiheit(at)soziales.saarland.de
- Sachsen: (Fachstelle) – genannt in Übersichten.
- Sachsen-Anhalt: Landesfachstelle für Barrierefreiheit, Unfallkasse Sachsen-Anhalt, Käsperstraße 31, 39261 Zerbst/Anhalt.
- Schleswig-Holstein: (Fachstelle) – genannt in Übersichten.
- Thüringen: (Fachstelle) – genannt in Übersichten.
Wie man dem blindheitsbedingten Funktionsverlust begegnen und aus Problemen Lösungen entwickeln kann
Einleitung- Ein erster Rettungsanker mit Smartphones
Das DL-Team begleitet Menschen, die entweder von Geburt an blind sind oder durch einen Unfall oder durch eine Krankheit erblindet sind.
Einige Leute aus dem Team sind selbst blind und hatten reichlich Gelegenheit, Strategien zur Problemlösung kennenzulernen und selbst solche Strategien zu entwickeln. Ich selbst bin mit ca. zwei Prozent Visus mittlerweile selbst fast blind.
Wer erblindet, geht durch Krisen und ist einem enormen Anpassungsdruck ausgesetzt. Hat man jedoch die diversen Strategien, Tricks und Technologien kennengelernt, die das Leben erheblich vereinfachen, sind alle Betroffenen stimmungsmäßig wieder gut drauf. Familie funktioniert, Job funktioniert und man kann oft sogar anderen Menschen helfen. Beispiele gibt es viele. Unsere Kundinnen und Kunden, die in Behörden und Industriebetrieben arbeiten oder selbständig sind.
In diesem Text greife ich einen einzigen Aspekt der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel heraus, und zwar Smartphones und Apps. Dabei beziehe ich mich hier lediglich auf das iPhone von Apple. Man kann auch ein Android Smartphone zum Sprechen bringen, und das funktioniert auch. iPhones haben aber gewisse Vorteile. Dieser Text beschränkt sich auf private Aspekte. Es geht hier nicht darum, was man für den Beruf benötigt.
Den Informationskanal wieder öffnen
Wenn man erblindet, ist der Informationskanal gestört. Bücher und Zeitung lesen, Fachliteratur, soziale Medien, E-Mail, SMS geht alles nicht mehr. Dabei ist man aber gerade als blinder Mensch auf Informationen angewiesen, um ins normale Leben zurück zu kehren.
Ein iPhone stellt ein mächtiges und einfach zu bedienendes Mittel dar, um sich zu informieren und zu kommunizieren. Jedes iPhone hat einen eingebauten Screen Reader. Das ist ein Programm, das den Inhalt des Bildschirms vorliest und eine komplett blinde Bedienung ermöglicht. Dieser Screen Reader heißt VoiceOver.
Bevor ich jetzt weitere, technische Infos und Infos über einige Apps gebe kommen hier wichtige und grundlegende Empfehlungen.
1. Unterstützung holen
Holen Sie sich Unterstützung. Quälen Sie sich nicht alleine!
Wenn Sie erblindet sind, oder dabei sind, zu erblinden, versuchen Sie am Anfang nicht, sich alles selbst beizubringen. Holen Sie sich für den Einstieg Unterstützung. Mit Unterstützung sind Sie letztlich viel schneller und können das Gerät dann eigenständig bedienen.
Viele Blindenvereine bieten Kurse für Smartphones an. Diese Kurse sind sehr günstig, weil es i.d.R. Gruppenkurse sind. Sie können aber auch Einzeleinweisungen bekommen. Bitten Sie Ihren Ehepartner, ihre Kinder, Ihre Eltern, Ihre Freunde oder Nachbarn, den Kontakt zu einem Blindenverein herzustellen. Nach einer Ersteinweisung können Sie weitere Lerneinheiten sicherlich auch per Telefon machen.
Wichtig: Wenn Sie mit der Trainerin oder dem Trainer nicht zurechtkommen, wechseln Sie sofort!
Wechseln Sie sofort! Das schreibe ich absichtlich zweimal.
Die Trainer müssen in der Lage sein, sich auf Sie einzustellen! ist das nicht gegeben, vergeuden Sie nur Ihre Zeit. Sie müssen sich während der Einweisung wohl fühlen.
Sollten Sie Schwierigkeiten haben, einen geeigneten Blindenverein bzw. einen geeigneten Trainer zu finden, rufen Sie uns an. Wir geben Ihnen Tipps.
Es gibt auch Materialien für das autodidaktische Lernen. Für den Anfang ist es aber immer gut, jemanden als Ansprechpartner zu haben. In der Blindenszene gibt es sehr viele Menschen, die anderen gerne helfen. Viele Blinde sind technisch super fit.
2. Vorsicht Ehepartner!
Lassen Sie sich nicht durch Ihre Frau, durch Ihren Mann oder durch Ihre Kinder oder durch Freunde einweisen!
Es gibt zwar wunderschöne Geschichten, wie die Enkelin ihrer Oma hilft, mit dem Smartphone zurecht zu kommen. Das kann auch funktionieren. Sie sind aber in einer vulnerablen Situation und das Beste ist für Sie nur gerade gut genug. Sie können es nicht auf einen riskanten Versuch ankommen lassen.
Das Schlechteste ist z.B. ein Ehemann, der alles besser weiß, und es Ihnen schon Tausendmal gesagt hat, oder ein EDV-enkel, der Ihnen sagt, dass Linux sowieso besser ist.
Also: wenn Sie nicht vorhaben, sich jetzt auch noch scheiden zu lassen, dann vergessen Sie erst einmal die Hilfe durch ihre Frau, Ihren Mann, Ihren Nachbarn usw. Kurzum: Sie benötigen einen erfahrenen Menschen, der exakt weiß, was er Ihnen vermittelt und wie er es macht. Bieten Sie sich nicht als Versuchskaninchen an! Sie gehen ja auch nicht zum Schuster, um sich Ihre Zähne richten zu lassen!
Wenn Sie den technischen Einstieg dann bekommen haben, kann es sehr gut möglich sein, dass alle Personen, die ich oben "verteufelt" habe, wirklich helfen können. So schlimm sind die nämlich gar nicht. :-)
3. Hände weg von Schrott
Meine Tochter hat da noch ein iPhone, das noch völlig in Ordnung ist." Vergessen Sie das einfach! Holen Sie sich ein aktuelles iPhone. Mehr als zwei Jahre alt sollte es nicht sein. Und eine max.-Version, die besonders groß ist, hilft Ihnen auch nicht, es hindert eher.
4. Eigenes Gerät verwenden
Verwenden Sie Technik nicht gemeinsam.
Einen PC mit Sehenden gemeinsam zu benutzen ist ein Alptraum. Sehende verstellen alles und schalten ganz gerne mal den Sound ab. "Ach ich wollte nur kurz ...". Dann können Sie auch gleich Ihr Büro von einem Wildschwein aufräumen lassen.
Sie brauchen Ihr eigenes iPhone, denn das iPhone wird für Sie nicht ein Telefon sein, sondern ein Gerät, das blindheitsbedingte Nachteile technisch kompensiert. Man kann sowas auch eine Prothese nennen.
Das sollten Sie am Anfang lernen
Am Anfang geht es um die Grundfunktionen der blinden Bedienung. Im Wesentlichen wischen Sie auf dem Display nach links und nach rechts und hören damit, wo Sie sind. Mit einem Doppeltipp mit einem Finger aktivieren Sie das Objekt, das zuletzt angesagt wurde. Ja, genau so einfach ist das.
Kompliziert ist die Bedienung nicht. Kompliziert wird die Sache nur, wenn man meint, alle Apps zu benötigen, die es gibt. Es gibt etwa eine Million. Also vergessen Sie erstmals die Apps.
Mit einem frisch ausgepackten iPhone können Sie blind verdammt viel machen. Außer "Zähne putzen" geht fast alles.
Wer anruft, wird Ihnen angesagt. Sie können selbst Leute anrufen und ein Adressbuch anlegen und benutzen. Sie können SMS-Nachrichten bekommen und welche verschicken. Sie können diese auch per Spracheingabe diktieren. Sie können mit Sprachbefehlen nach der Uhrzeit und dem Wetter fragen, und auch fragen, wo Sie sind. Sie können sich einen Wecker stellen.
Sie können E-Mails empfangen und senden.
Sie können sich im Internet bewegen und Informationen suchen.
Sie können Podcasts hören und digitale Bücher in wenigen Minuten kaufen und sich diese anhören.
Sie können sich Audionotizen oder eine Einkaufs- oder To-Do-Liste machen.
Wie lernen Sie am schnellsten?
Am schnellsten lernen Sie, indem Sie langsam lernen.
Wiederholen ist das Zauberwort.
Sie fühlen sich besser, wenn Sie das, was Sie gelernt haben, sicher beherrschen. Das erreichen Sie zuverlässig durch Übung und Wiederholung. Damit Sie aber wiederholen können, benötigen Sie eine Liste, eine Art Aufzeichnung. Das, was Sie bereits gelernt haben, müssen Sie irgendwie abrufen können. Da Sie Zettel nicht mehr nutzen können, setzen Sie am besten Audio ein. Ideal sind einfach zu bedienende Diktiergeräte. Diese kann man schon für wenig Geld bekommen.
Die meisten Diktiergeräte haben sog. Ordner. Sie würden also z.B. Ordner 1 für allgemeine Notizen verwenden und Ordner 2 für das Erlernen von VoiceOver.
Wenn Sie nicht wissen, welches Diktiergerät Sie sich holen sollen, können Sie sich bei uns melden.
Diktiergeräte spielen sowieso eine wichtige Rolle, wenn man nicht mehr sehen kann.
Welche Apps sind für blinde Menschen von besonderem Vorteil?
Vom Microsoft gibt es die kostenlose App "Seeing AI". Apps sind Programme, die man zusätzlich installiert.
Mit dieser App können Sie folgendes machen:
Schilder und Beschriftungen vorlesen lassen Handschriftliche Notizen vorlesen lassen Dokumente vorlesen lassen Produkte erkennen Farben erkennen Helligkeit erkennen und ansagen Geldscheine erkennen Szenen können beschrieben werden Personen können erkannt werden Personen und Objekte können angesagt werden, wenn sie ins Sichtfeld gelangen Abstandswarner - bei Näherung an eine Wand oder z.B. an eine Mülltonne vibriert das Gerät (geht nur mit den Pro-Versionen der iPhones)
BlindSquare ist eine App, die z.B. Orte von Interesse ansagt, die sich in der Nähe befinden. Das können Bushaltestellen, Cafés, Geschäfte usw. sein. Das System sagt u.a. auch Kreuzungen an und nennt Straße und Hausnummer des aktuellen Aufenthaltsortes.
WhatsApp ist eine Kommunikations-App, die sehr verbreitet ist. Damit kann man sich z.B. Sprachnachrichten schicken.
Es gibt viele nützliche Apps. Der Austausch mit anderen Betroffenen hilft oft, das Nützliche von den Zeitfressern zu unterscheiden.
Wenn Sie das iPhone in den Grundfunktionen beherrschen, haben Sie die besten Voraussetzungen, um sich mit anderen Menschen zu verbinden. Sie können sich dann auch auf den Lernweg begeben und lernen, was für den Beruf nötig ist. Spätestens dann wieder kommt DL ins Spiel
Irgendwann werden Sie das iPhone so sicher bedienen können, dass Sie Lust haben, Andere einzuweisen.
Marburg im Dezember 2023
Hansjörg Lienert
Inklusive Software mit Leit- und Orientierungsfunktionen
Die DL® UserExperience PDF-Ansicht
Software wird allgemein für sehende Menschen entwickelt. Die Bedieneroberfläche ist dabei der Bildschirm, dessen Inhalt mit den Augen ausgelesen wird. Als die Draeger Lienert GmbH & Co. KG (DL®) ihre ersten Anwendungen entwickelte, hatte sie als Hilfsmittelfirma blinde und sehbehinderte Menschen als HauptanwenderInnen im Blick. Dementsprechend wurde und wird alles barrierefrei entwickelt. Mit einem sog. Screen Reader können blinde Menschen den Inhalt des Bildschirms auf der Braillezeile in Blindenschrift darstellen und ihn sich per Sprachausgabe vorlesen lassen (accessibility). Trotz dieser hervorragenden Möglichkeiten waren Blinde aber in Sachen Geschwindigkeit Sehenden unterlegen.
DL fing an in die Softwaresysteme spezielle Funktionen einzubauen, die sehbehinderten und blinden Menschen die Orientierung erleichterten. Zudem entwickelte DL die sog. Direktzugriffe, um behinderungsbedingte Geschwindigkeitsnachteile wo es möglich war, auszugleichen. So sind über die Jahre viele Optimierungen entstanden, durch die die Gebrauchstauglichkeit (usability) der Softwaresysteme erheblich verbessert wurde. Ziel war und ist, Menschen mit diversen Einschränkungen in die Lage zu versetzen, wettbewerbsfähig zu arbeiten. Ideen für die Verbesserungen kamen häufig von den Anwenderinnen und Anwendern selbst.
Im nachfolgenden Teil beschreiben wir einige dieser Verbesserungen. Wir, das sind Rena de Buhr, Christian Frenzel und Hansjörg Lienert.
Das DL Team bietet zur Zeit drei Fachanwendungen an, die DL mit einer eigenen Entwicklungsumgebung erstellt. Mit dieser Entwicklungsumgebung ist es nicht möglich, nicht barrierefreie Anwendungen zu programmieren. Zudem enthalten die Steuerelemente und Module, die die Entwicklungsumgebung bereitstellt, eine Vielzahl von Funktionen, die sehbehinderten und blinden Menschen, aber auch Menschen mit motorischen oder kognitiven Einschränkung die Bedienung der Fachanwendungen erheblich erleichtern.
Zusätzlich zur Erleichterung geht es um schnelle Orientierung, es geht darum, zu wissen, wo man gerade ist. Es geht um einfachste und schnelle Bedienung mit Direktzugriffen.
Die Fachanwendungen von DL® lassen sich einfach bedienen und vermitteln ein positives Erlebnis, Neudeutsch UserExperience.
Behinderungsbedingte Geschwindigkeitsnachteile werden soweit wie technisch möglich durch intelligente Assistenzfunktionen ausgeglichen. Menschen mit und ohne Einschränkungen arbeiten inklusiv und zusammen mit demselben System. Es entsteht ein gemeinsamer Handlungskontext, der verbindet.
Die Verbesserung der Bedieneroberfläche nennen wir User Interface Optimierung oder auch UI-Optimierung.
Die drei Fachanwendungen sind:
DL® ETB (elektronisches Telefonbuch
DL® ETB ist ein hoch moderner Vermittlungsplatz für Telefonzentralen. Z.B. im Einsatz im Bundeskanzleramt, beim Regierungspräsidium Stuttgart, im Universitätsklinikum Tübingen und an vielen anderen Orten.
DL® Kontaktmanager
DL® Kontaktmanager ist ein CRM System, mit dem ganze Firmen verwaltet werden. Das System wird auch für Vorgangsverwaltung, für Projekte und Work Flows beispielsweise im Beratungsbereich eingesetzt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat das System im Jahr 2017 als inklusive Lösung vorgestellt.
DL® Verein
DL® Verein ist eine inklusive Vereinsverwaltung mit speziellen Modulen, die blinde Menschen in die Lage versetzt, Tätigkeiten zu übernehmen, die ohne diese Module von blinden Menschen nicht erledigt werden können.
Zu den drei Fachanwendungen gibt es ca. 50 Module, die optional eingebunden werden.
Im Jahr 2023 sind die UI-Optimierungen (Orientierungs- und Effizienzfunktionen) nur in den drei genannten Fachanwendungen technisch implementiert.
Für beliebige Softwaresysteme (Windows, SAP u.a.) bietet die Draeger Lienert GmbH & Co. KG ein Softwarewerkzeug, das überall eingespielt werden kann, und die Bedienung beliebiger Softwaresysteme erheblich verbessert. Dieses System (DL®EasyTask) ist nicht Thema dieses Textes.
Die nachfolgenden Erläuterungen sind einfach verständlich, wenn man weiß, wie ein Screen Reader für Blinde funktioniert. Screen Reader geben Texte in Blindenschrift und per Sprache aus. Eine Braillezeile ist ein einzeiliges Display das Text in Blindenschrift (Braille) fühlbar ausgibt. Sprachausgaben lesen den mit dem Screenreaderfokussierten Text oder auch ganze Dokumente mit einer synthetischen Stimme vor.
Die nachfolgend auszugsweise beschriebenen UI-Optimierungen verbessern die User Experience und führen zu einem positiven Erleben des Technikumfeldes durch Erhöhung der Selbstwirksamkeit. Die Verbesserungen der Bedieneroberfläche (UI-Optimierungen) lassen sich folgenden Bereichen zuordnen.
Direktzugriffe auf Teile des Bildschirms
Direktzugriffe auf Daten
Direktzugriffe auf Teile eines Steuerelements
Audiosignalisierung
Braillesignalisierung
Visuelle Signalisierung
Vermeidung von Audioermüdung
Vermeidung von RSI (repetitive strain injury)
Ausgleich behinderungsbedingter Geschwindigkeitsnachteile
Vermeidung von Haltungsschäden
Die Optimierungen sind entweder fest in der Bedieneroberfläche verankert und jederzeit aufrufbar oder über die Einstellungen optional verfügbar.
Und dies ist die auszugsweise Auflistung:
Optimierungen für Trefferlisten
Die Trefferliste ist in Zellen segmentiert und die Zellen können mit dem Cursor einzeln navigiert werden
In Trefferlisten wird die gerade fokussierte Zeile in der Regel farblich hervorgehoben dargestellt. Die Standardfarbe hierfür ist blau.
Bewegt man den Cursor in einer Trefferliste nach unten oder oben, verfolgt der Screen Reader den sog. Fokus. Die angewählte Zeile wird vom Screen Reader ganz vorgelesen und auf der Braillezeile werden die ersten 80 Zeichen angezeigt.
Damit blinde und sehbehinderte Menschen einzelne Elemente der ausgewählten Zeile der Trefferliste schnell hören bzw. fühlen können, kann man mit Cursor rechts und links zwischen den Segmenten der ausgewählten Zeile wechseln.
Werden in der Trefferliste also z.B. Felder wie Vorname, Name, Ort, Status usw. angezeigt, kann man diese Elemente mit Cursor schnell anwählen und hört den jeweiligen Feldinhalt.
Ist die Einstellung der Zellenweisen Focusverfolgung gewählt, wird die angewählte Zeile in der Trefferliste nicht komplett hervorgehoben bzw. blau angezeigt. Es wird stattdessen immer nur eine Zelle hervorgehoben dargestellt.
Für Großschriftnutzer hat dies den Vorteil, dass die Großschrift die ausgewählte Zelle als Fokus verfolgen kann. Man navigiert also in der Trefferliste nach unten und oben und innerhalb der angewählten Zeile nach rechts und links und die Großschrift läuft immer mit (automatische Fokusverfolgung).
Zudem sagt die Sprachausgabe auch jeweils die angewählte Zelle an.
Die Braillezeile verschiebt sich ebenfalls, wenn man nach rechts über die ersten 80 Zeichen hinaus scrollt.
In Trefferlisten springt der Focus bei neuen Zeilen optional an den linken Rand
Mit dieser Einstellung kann man festlegen, dass man Trefferlisten navigiert und der Fokus dabei erst einmal in der gleichen Spalte bleibt. An den linken Rand kann man jederzeit gelangen.
Die Spalten (Zellen) in der Trefferliste können über Direkttasten sofort erreicht werden
Mit den Direkttasten 1 - 9 kann jede Spalte sofort angesprungen werden.
Farben für die Spalten/Reihen in der Trefferliste benutzen
Mit dieser Einstellung bekommt jede Spalte eine andere Farbe. Diese Einstellung dient der besseren Unterscheidbarkeit der Spalten. Sieht man eine Spalte bzw. Zelle mit der Großschrift, kann man an der Farbe erkennen, um welche Spalte es sich handelt, ohne mit der Maus an den Kopf der Spalte navigieren zu müssen.
Nummerierung in der Trefferliste
Die UI-Optimierung besteht hier darin, dass am linken Rand eine Nummerierung angezeigt wird. Damit können auch blinde Menschen feststellen, wo sie sich in der Trefferliste befinden.
Schwarzer Markierungsbalken
Wird diese Einstellung gewählt, erscheint die hervorgehobene Zeile mit einem schwarzen Markierungsbalken. Diese Darstellungsform kommt einigen sehbehinderten Menschen entgegen.
Spalten der Trefferliste haben gleiche Breite wie der Text
Mit dieser Einstellung wird die Spaltenbreite automatisch und dynamisch gesetzt.
Dynamische Spaltenbreiten
Diese Einstellung muss aktiv sein, damit die Spaltenbreiten dynamisch an die Länge der Feldinhalte angepasst werden können.
Die Einstellung "Spalten der Trefferliste haben gleiche Breite wie der Text" bewirkt, dass die Spaltenbreite durch die Länge der Feldinhalte bestimmt wird.
Maximale Spaltenbreite der Trefferliste
Wenn eingestellt wurde, dass die Spaltenbreiten dynamisch ermittelt werden, d.h. dass sich die Spaltenbreiten an die Breite des Feldinhaltes anpassen, kann es passieren, dass Spaltenbreiten zu groß werden und damit Platz verschwendet wird.
Indem eine maximale Spaltenbreite angegeben wird, kann dieser störende Effekt verhindert werden.
Die Daten können optimal komprimiert dargestellt werden.
Maus mit dem Fokus bewegen
Die UI-Optimierung besteht hier darin, dass die DL® Produkte den Mauszeiger an die fokussierte Zelle koppeln.
Erfolgt der Griff zur Maus, steht der Mauszeiger in der Mitte des vergrößerten Bildausschnittes und dieser wird mit der Bewegung des Mauszeigers entsprechend verschoben.
Schrifthöhe der Trefferlisten
Die Schriftgröße der Trefferlisten kann an den individuellen Bedarf angepasst werden. Nutzer von Großschriftsystemen müssen entsprechend seltener zwischen Vergrößerungsstufen wechseln.
Schrifthöhe der Steuerelemente
Mit dieser Einstellung kann die Schrifthöhe von Schaltern und anderen Steuerelementen eingestellt werden.
Wenn die Steuerelemente größer dargestellt werden, kann man mit der Großschrift auf einer niedrigeren Vergrößerungsstufe arbeiten. Damit wird ein größerer Bildausschnitt dargestellt und man hat besseren Überblick.
Wechselt man zwischen den Steuerelementen mit TAB, wird der Fokus automatisch verfolgt, d.h. ein fokussierter Schalter wird mitten auf dem Bildschirm dargestellt.
Textkürzel benutzen
Wenn diese Checkbox aktiviert wird, werden einige Feldnamen in Kurzform angezeigt. Damit wird die sog. Audioermüdung reduziert und auf dem Bildschirm bleibt mehr Platz für die Daten selbst.
Abgekürzt werden Felder wie Telefon privat, und E-Mail privat.
In der optionalen Mitgliederverwaltung wird der Status wie ""ehemaliges, ordentliches Mitglied" abgekürzt in "EOM".
Diese Einstellung wird noch weiterentwickelt. Die Anwenderinnen und Anwender werden die Abkürzungen in Zukunft selbst definieren können.
Mehrzeilige Felder in der Trefferliste anzeigen
In Trefferlisten werden in der Regel kurze Feldinhalte ausgegeben wie "Vorname" und "Nachname". In Datenbanken gibt es aber auch mehrzeilige Felder.
Wählt man die obige Einstellung. Zeigen die DL® Produkte mehrzeilige Feldinhalte in Form von "hohen" Feldern an. D.h. obwohl man sich in einer Trefferliste befindet, wird sehr viel Text angezeigt und entsprechend angesagt, wenn man das mehrzeilige Feld in der Trefferliste anwählt.
Mit dieser UI-Optimierung wird vermieden, dass man einen Datensatz zunächst öffnen muss, um dann zu dem entsprechenden, mehrzeiligen Feld zu wechseln und es auszulesen.
Textsuche in der Trefferliste
Diese UI-Optimierung bietet die Trefferliste wie ein Dokument an, in dem man suchen kann.
Wird beispielsweise eine Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Seminars angezeigt und man möchte jemanden suchen, der aus Aachen kommt, kann in der Trefferliste über die Textsuche nach "Aachen" gesucht werden, wenn das Ortsfeld oder die gesamte Adresse Teil der Trefferliste ist.
Trefferliste textbasiert anzeigen
Diese Darstellungsform zeigt entweder die aktuelle Zeile der Trefferliste, die markierten Zeilen oder die gesamte Trefferliste als Text an. In der Trefferliste kann mit Cursor zeichenweise und wortweise navigiert werden. Text kann markiert und in die Zwischenablage kopiert werden.
Orientierungssounds in den Trefferlisten
Wenn man in einer Trefferliste navigiert, werden Orientierungssounds abgespielt. Man hört, ob man sich beim ersten oder letzten Datensatz befindet und ob der Fokus am linken oder rechten Rand ist.
Der Sound wird parallel zur Ansage des Screen Readers ausgegeben.
Diese Optimierung gilt auch für die Datensatzansicht.
Optimierungen für die Datensatzansicht
Leere Felder anzeigen
Unter "Ansicht" kann in der Datensatzansicht eingestellt und umgeschaltet werden, ob leere Felder angezeigt werden sollen oder nicht. Standardmäßig lässt man sich sowohl leere als auch ausgefüllte Felder anzeigen. Blendet man letztere jedoch aus, und lässt sich nur die leeren Felder anzeigen, kann man schneller herausfinden, wo ggf. noch Daten in den Datensatz eingetragen werden müssen.
Daten in Textform anzeigen
Wird diese Funktion aus dem Menü "Ansicht" gewählt, werden Feldnamen und Feldinhalte als Text angezeigt. Damit kann der Datensatz mit Cursor wie in einer Textverarbeitung navigiert werden. Diese Ansicht ermöglicht nur Lesenden Zugriff.
Feldnamen und Feldinhalte können wie in einer Textverarbeitung markiert und in die Zwischenablage kopiert werden.
Ein Feld via Suchbegriff anspringen
Insbesondere bei Datensätzen mit vielen Feldern kann es sehr lange dauern, bis man mit Tab zu dem gewünschten Feld gelangt.
Die DL UI Optimierung bietet hier eine Suchfunktion, mit der man nach einem Feldnamen suchen und es dann direkt anspringen kann.
Felder via First Letter Navigation anspringen
In der Datensatzansicht kann man durch Eintippen eines Buchstabens direkt zu dem oder den Feldern springen, die mit dem Buchstaben anfangen.
Diese UI-Optimierung steht in der Datensatzansicht standardmäßig zur Verfügung. Hierfür muss nichts eingerichtet werden.
Direktsprünge zu Feldern
Um Felder direkt erreichen zu können, gibt es die UI-Optimierung "Direktsprünge zu Feldern".
Nehmen wir an, es gäbe ein Feld namens "Dokumentenverzeichnis". Diesem Feld könnte man die Buchstaben "dv" zuordnen.
Hat man einen Datensatz geöffnet und tipp "dv", spring der Fokus direkt zu dem Feld "Dokumentenverzeichnis".
Signalisierung von Zuständen in den Daten
Es kann signalisiert werden, ob ein Feld leer oder nicht leer ist, oder ob das Feld einen bestimmten Inhalt enthält.
Anstelle von Sounds kann man auch Zeichen bzw. Sonderzeichen angeben, die z.B. am Anfang in einer Trefferliste auf der Braillezeile angezeigt werden sollen.
Direktsprünge zu Registerkarten der Datensatzansicht für Adressen
Die einzelnen Registerkarten der Datensatzansicht lassen sich ebenfalls durch Direktsprünge anwählen.
Diese funktionieren ebenso wie die Direktsprünge zu Feldern.
Direktsprünge zu Spalten der Trefferliste der Notizen
Durch Drücken der Ziffern 1 - 9 können die entsprechenden Spalten direkt angesprungen werden.
Unterstützung der allgemeinen Navigation mit Direkttasten und Klängen
Den Hauptfenstern sind Direkttasten zugeordnet, die aus den Anwendungen von überall benutzt werden können. Anstatt also durch viele Menüs und Untermenüs zu navigieren, oder mehrfach Strg+Tab zu drücken, kann man die Hauptfenster direkt erreichen.
Mit Strg+1 erreicht man standardmäßig die Suche in den Tabellen und die entsprechenden Trefferlisten.
Mit Strg+2 wird standardmäßig das Tapi-Modul (Telefon) erreicht.
Mit Strg+3 wird die Registerkarte mit den Notizen angezeigt.
Mit Strg+4 wird der DL® Exchange Kalender erreicht und mit Strg+5 die Registerkarte der Wiedervorlagen usw.
Mit Strg+ 0 wird der Benutzerbereich fokussiert, egal wo man sich davor in der Anwendung befunden hat.
Alle Bereiche sind sofort aktivierbar und man bekommt Audiofeedback. D.h. zu jedem Hauptfenster wird ein besonderer Sound kurz abgespielt.
UI-Optimierungen für DL® Exchange Kalender
Dieses Modul ist eine alternative Bedieneroberfläche für den Kalender von MS Outlook. Neben vielen Optimierungen ermöglicht das Modul z.B. das Verwalten von Terminen mehrerer Teilnehmer und deren freien Zeiten, was mit MS Outlook und einem Screen Reader ansonsten praktisch nicht möglich ist. Das Modul arbeitet nahtlos mit MS Exchange und MS Outlook zusammen.
Sounds für freie und belegte Tage sowie für Ferien und Feiertage.
Anhand kurzer Sounds hört man sofort, ob ein Tag frei ist oder nicht und ob ein Ferien oder Feiertag vorliegt.
Diverse Darstellungsformen für Termine
Anstatt diverse Bildschirmbereiche nach und nach mit TAB auszulesen, wählt man eine passende Darstellungsform für Termine und bekommt die Daten z.B. komprimiert für die Braillezeile und/oder für die Einhandbedienung präsentiert.
Marburg, im Januar 2023
Rena de Buhr, Christian Frenzel, Hansjörg Lienert
Digitale Barrierefreiheit
Arbeitsverfahren in Betrieben und Behörden werden seit etwa 4 Jahrzehnten nach und nach digitalisiert. Bürgerinnen und Bürger können mit vielen Ämtern teilweise bereits digital interagieren. Der früher notwendige Gang zum Amt und das Ausfüllen von Papierformularen wird bzw. werden seltener. In Estland beispielsweise gehört der Gang zum Amt der Vergangenheit an.
Wenn wesentliche Tätigkeiten im Bereich der Arbeit und der Verwaltung nur noch digital möglich sind, versteht es sich nach europäischem und bundesdeutschen Recht von selbst, dass jede Frau und jeder Mann in der Lage sein müssen, die Werkzeuge für Arbeit und Verwaltung auch benutzen zu können. Es geht um die Frage, auf welche Weise Menschen mit den EDV Systemen kommunizieren, was früher möglich war, was heute geht und was in Zukunft möglich sein wird.
In der Anfangszeit des Computerzeitalters wurden Handlungsanweisungen an die EDV mit Hilfe von Lochkarten gegeben. Das setzte Expertenwissen voraus. Diese Technik war wirklich nicht für Jede und Jeden zugänglich. Wenn das Anfertigen von Lochkarten Voraussetzung für eine Bürotätigkeit oder für den Umgang mit Behörden gewesen wäre, hätte der weitaus größte Teil der Bevölkerung keine Teilhabe an den genannten Tätigkeiten gehabt.
Bevor es die ersten Bildschirme gab, gaben die Computer die Ergebnisse auf Druckern aus. Wollte man eine Kopie haben, hat man ein "Carbon Copy" gemacht, also Durchschlagpapier benutzt. Aus dieser Zeit stammt das Kürzel "CC", das es bis in die heutige Zeit geschafft hat.
Die Einführung der ersten Röhrenbildschirme hat es Sehenden, und praktisch alle Benutzerinnen und Benutzer waren sehend, ermöglicht, Daten dynamisch und in Echtzeit zu betrachten. Ein Ausdruck auf Papier ist statisch. Ein Röhrenbildschirm kann dagegen auch veränderliche Daten ausgeben.
Deutlich später fingen Computer an, auch Geräusche von sich zu geben. Es ging los mit summen oder nicht summen, piepsen oder nicht piepsen. Dann kamen die ersten Digital Analog Wandler, die aus Nullen und Einsen Töne machen konnten.
Das war die Zeit, als auch die ersten blinden Menschen mit Computern arbeiten konnten. Die Eingabe über Lochkarten war zwischenzeitlich schon lange durch die Tastatur abgelöst worden und das Tastschreiben oder 10 Finger System beherrschten viele Blinde, da das Schreiben auf einer mechanischen Schreibmaschine damals eine Art Durchbruch in der Blindenbildung darstellte.
In den 1970ern gab es dann die ersten Ausgabegeräte für Blinde. Blindenschrift wurde auf Papier von Computern aus gedruckt. Variable Daten konnten mit Hilfe der ersten Braillezeilen angezeigt werden. Dabei hoben und senkten elektrodynamische Magnete kleine Stifte. Stift 1 stand und steht für a, die Stifte 1 und 2 für "b" usw. Blinde Menschen konnten damals die ersten Rechner bedienen und Texte schreiben. Die ersten sog. Screenreader (Bildschirmausgabeprogramme) lasen Texte vor und stellten Teile des Bildschirmes auf der Braillezeile dar.
Daten digital verarbeiten zu können, war für Blinde eine große Chance. Wenn man einen Brief auf Papier nicht lesen kann, sehr wohl aber den Inhalt in digitaler Form, dann ist das ein großer Schritt nach vorne.
In den 80er kommunizierte man mit der EDV nicht durch Anklicken einer Fläche auf dem Bildschirm mit der Maus, sondern mit Befehlen. Davon gab es im Betriebssystem DOS und später auch Linux viele, viele. Die meisten Befehle hatten dann noch Parameter, und auch wiederum viele.
Computer konnten jetzt von viel mehr Menschen als in der Anfangszeit bedient werden. Das Vorhandensein von Expertenwissen entschied aber immer noch darüber, ob man an dieser Technologie teilhaben konnte oder nicht.
Douglas C. Engelbart hatte 1963 die ersten Prototypen für eine Computermaus gebaut und als die ersten grafischen Bedieneroberflächen aufkamen entwickelte sich die Maus zum wichtigsten Werkzeug, als Zeigeinstrument um mit einem Computer zu interagieren.
Musste man früher einen Befehl wie "Print Quelle Ziel Parameter" kennen, konnte man jetzt auf eine Fläche klicken, auf der "Drucken" stand.
Der Siegeszug der grafischen Bedieneroberflächen hat die Verbreitung der Computer in fast jeden Haushalt zur Folge gehabt. Die meisten Menschen konnten jetzt an der Computertechnologie teilhaben. Nicht wenige 70, 80 und 90 jährige Menschen buchen Ihr Bahnticket heute am PC oder schauen nach, was am Abend in der Stadt los ist.
Die Bedieneroberflächen wurden immer bunter und es gab zunehmend mehr Bilder. Warum auf eine Schaltfläche am Bildschirm "Drucken" schreiben, wenn man auch ein Bild eines Druckers zeigen konnte. Damit fingen die Probleme für Blinde aber an. Eine Braillezeile kann mit ihren Stiften eine zeichenkette wie „Drucken“ anzeigen. Ein Bild kann sie aber nicht darstellen.
Viele, andere Probleme für Blinde entstanden mit der Einführung des Betriebssystems Windows. Schaltflächen, die mit Bildern aber ohne Text gekennzeichnet waren, Eingabefelder ohne dass die Anwenderinnen und Anwender hören oder lesen konnten, wofür sie waren und Vieles mehr.
Bevor die Maus Ihren Durchbruch hatte, wurde beispielsweise die Tabulatortaste benutzt, um in einem Formular vom Vornamen zum Namen zu springen. Als die Maus dann nach und nach aufkam, "vergaßen" die Programmentwickler die Funktion für die Bedienung durch Tabulatortasten und andere Tasten einzuprogrammieren. Die meisten Menschen benutzten ja die Maus, warum da noch an der Tastaturbedienung festhalten?
Als sich die grafischen Bedieneroberflächen durchsetzten und Programme von blinden Menschen nicht mehr oder nur noch teilweise bedient werden konnten, fingen die Hilfsmittelhersteller der Screenreader, an sich Gedanken über Lösungen zu machen. Eine Grafik wurde vom Betriebssystem intern als Zahl repräsentiert. Ein Druckersymbol war etwa die Grafik Nr. 4711. Warum sollte der Screenreader also nicht das Wort "Drucken" ausgeben, wenn er die Grafik 4711 im Programm fand? Gute Idee, und sie wurde umgesetzt. So fingen die sog. Screenreader Anpassungen oder auch Skripting genannt an.
In der nächsten Programmversion hatten die Programmierer aber eine viel schönere Grafik für einen Drucker gefunden. Die Software sollte ja cool aussehen. Das Grafiksymbol für den Drucker war jetzt 4712. die Screen Reader Anpassung fand die Grafik nicht und konnte dementsprechend auch nicht "Drucken" in Textform anzeigen. Kein Problem sagten die Hilfsmittelhersteller "wir passen die Anpassung an".
Die Programme wurden immer größer, immer komplexer und mit den Screenreader Anpassungen kam man nicht mehr hinterher. Die ersten blinden Computerbenutzerinnen und Benutzer schlugen vor, man möge nur noch barrierefrei programmieren, damit Screenreader Anpassungen so weit wie möglich vermieden werden könnten. In dieser Zeit sprach man oft nicht nur über die Chancen der Digitalisierung sondern auch über deren Risiken. Das Risiko, dass Blinde von der technischen Entwicklung abgehängt werden könnten, stand im Raum.
Es war offensichtlich, dass Blinde eine strukturelle, technische Hürde vor sich hatten. Dass dies eine Benachteiligung darstellen würde in Beruf, aber auch im allgemeinen Leben, wurde immer deutlicher. Diese Erkenntnis hat über die Jahrzehnte Einzug in die Rechtsprechung gehalten. Barrierefreiheit wurde nach und nach in immer mehr Bereichen gesetzlich festgeschrieben.
Heute, im Jahr 2021, sind viele, weit verbreitete Systeme mehr oder weniger barrierefrei. Viele Fachanwendungen in Behörden und Betrieben sind es aber immer noch nicht. Die Abhängigkeit von Screenreader Anpassungen besteht nach wie vor. Damit werden blinde Menschen technisch ausgebremst, denn im Gegensatz zu ihren sehenden Kolleginnen und Kollegen, wird ihre Arbeitsfähigkeit immer wieder unterbrochen, wenn eine neue Softwareversion ausgerollt wird und die alten Skripts nicht mehr funktionieren.
Fortschrittliche Programmiererinnen und Programmierer sehen Barrierefreiheit als Qualitätsmerkmal ihrer Software an. Wenn das Feld "Vorname" in einem Dialog nicht nur mit der Maus, sondern auch über die Tastenkombination ALT+V angesprungen werden kann, ist das nicht nur gut für Blinde, sondern z.B. für Vielschreiber wie Journalisten. Diese schwören nämlich auf Tastenkombinationen und Tastaturbedienung. Der Grund; man ist viel schneller. Wir haben hier die schöne Situation, dass gewisse technische Merkmale, die für Blinde gut sind, auch für andere Zielgruppen von Vorteil sind.
Barrierefreiheit hilft also allen. Es ist viel billiger, ein Softwaresystem von vornherein barrierefrei zu programmieren, als die Barrierefreiheit hinterher einzuarbeiten. Einige Bundesbehörden schaffen aus diesem Grund nur noch barrierefreie Systeme an. man erspart sich einfach viel Ärger. Ob ein System allerdings wirklich barrierefrei ist oder nicht, müssen Betroffene und Experten testen. Bei Ausschreibungen sollte Barrierefreiheit unbedingt als zentrale Forderung im Anforderungsprofil stehen. Je mehr Softwarefirmen mitbekommen, dass sie bessere Chancen im Markt haben, wenn wie barrierefrei entwickeln, desto schneller schaffen wir die Wende.
Nun gibt es außer dem Begriff der Barrierefreiheit (englisch: accessibility) den Begriff der Gebrauchstauglichkeit (englisch: usability).
Der Begriff "barrierefrei" impliziert, dass es keine Barrieren gibt, ein System also zugänglich ist und damit bedient werden kann. Im sprachlich korrekten Sinn wird der Begriff aber nicht verwendet. Man spricht auch von "mehr oder weniger" barrierefrei.
Beim Begriff der Gebrauchstauglichkeit gibt es dieses "alles oder nichts" aber nicht. Die Gebrauchstauglichkeit beschreibt, wie gut eine Aufgabe mit einem technischen System erledigt werden kann. Wenn ich zwei Minuten brauche, um eine Adresse aus einer Datenbank herauszusuchen, ist die Gebrauchstauglichkeit hierfür geringer, als wenn ich das in 20 Sekunden erreichen kann.
Es gibt Technologien, um die Gebrauchstauglichkeit von Software für Blinde zu verbessern. Im Vordergrund steht heutzutage immer noch die Barrierefreiheit, und das wird auch noch lange so bleiben. Wenn wir aber erreichen wollen, dass blinde Menschen trotz Blindheit wettbewerbsfähig arbeiten können, sollte das Thema Gebrauchstauglichkeit ernst genommen werden und daran geforscht und gearbeitet werden.
Die Gebrauchstauglichkeit kann durch einfache Maßnahmen erhöht werden. Über Signalisierungstechnologien beispielsweise können Anwenderinnen und Anwender über definierte Zustände in den Daten informiert werden. Dass es zu einem Datensatz eine Wiedervorlage gibt, kann z.B. über einen kurzen Sound oder über eine entsprechende Anzeige auf der Braillezeile angezeigt werden. Damit muss der Bildschirm nicht zeitraubend abgesucht werden. Feldinhalte, die für Sehende auf dem Bildschirm ansprechend verteilt wurden, sollten optional ruhig auch in komprimierter Form für die Braillezeile darstellbar sein. Einfache Dinge, mit großem Nutzen. Die Möglichkeiten sind vielfältig.
Die Betriebssysteme haben sich konstant weiter entwickelt. Die Smartphones haben viele Dinge drastisch vereinfacht. Was vor wenigen Jahren noch eine Abfrage im Internet erforderte, kann heute über einen Sprachbefehl beim Spaziergang mit dem Hund erledigt werden.
Die großen Firmen wie Apple, Microsoft usw. investieren Millionen und Milliarden, um ihre Benutzeroberflächen für Anwenderinnen und Anwender so einfach wie möglich zu machen und die Benutzung mit guten Gefühlen zu verbinden. In diese positive Entwicklungsarbeit werden auch Menschen mit besonderem Assistivbedarf einbezogen. So bietet das Betriebssystem des iPhone besondere Funktionen für Sehbehinderte, für Blinde, für Menschen mit Höreinschränkungen, für Menschen mit motorischen Einschränkungen u.v.m.
Die Gebrauchstauglichkeit von Arbeitsplätzen für blinde Menschen zu verbessern ist eine erfreuliche Tätigkeit für Softwareingenieurinnen und Ingenieure. Als Entwicklungsfirma bekommt man viel positives Feedback und Wertschätzung. Was heute noch eine kleine Idee oder ein Traum ist, kann in wenigen Jahren bei Blindenarbeitsplätzen bereits Normalität sein. Die strukturelle, technische Abhängigkeit sollte überwunden werden, und sie kann überwunden werden.
Die Entwicklung und Bereitstellung von barrierefreier IT Infrastruktur, sowie die Entwicklung und Bereitstellung von Systemen mit hoher Gebrauchstauglichkeit, kurz dem souveränen IT Arbeitsplatz, bringen etliche Vorteile wie:
Die Einstiegshürden für eine Arbeitsstelle in einem Betrieb oder in einer Behörde sinken deutlich. Die überproportionale Arbeitslosigkeit dieser Zielgruppe kann entsprechend reduziert werden.
Neue Softwareversionen gehen nicht einher mit Disruption der Arbeitsfähigkeit blinder und sehbehinderter Menschen. Somit können sich die Anwenderinnen und Anwender auf ihre originäre Aufgabe konzentrieren und werden nicht ausgebremst.
Weil die Hilfsmittel nachhaltig funktionieren, können Blinde und Sehbehinderte diejenige berufliche Position erreichen, die ihrer Qualifizierung entspricht. Ihre Aufstiegs und Entwicklungsmöglichkeiten werden nicht durch technische Mängel definiert.
Die Reha-Beratungsstellen bei Arbeitsagentur, Rentenversicherung, Hauptfürsorgestellen bzw. Integrationsämtern und bei den Berufsgenossenschaften können mit gleichbleibendem Ressourceneinsatz mehr Menschen in Lohn und Brot bringen, weil der Aufwand pro Person drastisch sinkt.
Die gesellschaftlichen Anstrengungen für Beratung im Reha-Bereich können erheblich gesenkt werden, indem die Kosten für unnötige und wiederholt notwendige Technikanpassungen vermieden werden. Dadurch können die Ressourcen in andere Bereiche fließen, in denen sie sinnvoll eingesetzt werden.
Die IT Abteilungen in Behörden und Betrieben, die sich speziell mit dem Support Blinder und Sehbehinderter beschäftigen und häufig hilflos sind, werden entlastet. Blinde und Sehbehinderte treten deutlich seltener als Problem für sie in Erscheinung.
Indem die Position der Abhängigkeit beseitigt wird, in der sich Blinde und Sehbehinderte befinden, können diese Ihre Selbstwirksamkeit ausbauen und sicherer und selbstbewusster auftreten.
Das Team von Draeger Lienert versteht die Probleme, die sehbehinderte und blinde Menschen am Arbeitsplatz haben. DL® nutzt seine Expertise und entwickelt ausschließlich barrierefreie Systeme. Hierbei wird an Sehbehinderte, an Blinde, an Menschen mit Höreinschränkungen und an Menschen mit motorischen Einschränkungen gedacht. Auch für Personen mit kognitiven Einschränkungen, wie z.B. einem temporären Stresssyndrom, bietet DL® Lösungen an, durch die diese Menschen in ihrer Arbeit unterstützt werden.
Pionierarbeit leistet DL® seit vielen Jahren im Bereich der Gebrauchstauglichkeit der Systeme. So gehört es mittlerweile zum Standard der DL® Systeme, dass Trefferlisten für und durch die Anwenderinnen und Anwender nach ihrem Wunsch so eingestellt werden können, dass die Anzeige auf der Braillezeile optimiert ist. Die Anwenderinnen können dabei selbst festlegen, wo einzelne Felder auf der Braillezeile platziert werden sollen und ob eine besonders komprimierte Darstellung erfolgen soll.
Mit der DL® Signalisierungstechnik wird die Arbeit mit der IT vereinfacht und beschleunigt. So können Sounds und Brailledarstellungen definiert werden, die dann ausgegeben werden, wenn bestimmte Daten in einem Formular vorhanden sind. Hat das Vereinsmitglied einen Blindenführhund kann dies etwa durch ein kurzes Bellen signalisiert werden. Fehlen Telefonnummer oder andere Teile der Kontaktdaten wird ein Hinweissound ausgegeben.
Diese Technologie macht es überflüssig, den Bildschirm nach und nach abzusuchen. Vielmehr wird die Aufmerksamkeit aktiv auf fehlende Teile gelenkt. Lästige und zeitraubende Routinearbeiten werden damit von Prüfroutinen übernommen.
Hansjörg Lienert (Dipl. Päd.)